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Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert van Gulik
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Wassertor aus der Wand hervorsprang. Es war eine Art überdachter Balkon in Trapezform, mit drei Erkerfenstern, einem großen auf der Frontseite, flankiert von zwei kleineren. Er schätzte, daß sich der Stützbalken, der den Pavillon trug, ungefähr sechs Fuß über dem Wasser befand. Ein kleines Boot, das dort vertäut lag, wäre von oben nicht zu sehen. Aber wie konnte ein Boot dahin gelangen, ohne von den Bogenschützen auf den Wachtürmen entdeckt zu werden?
    »Hoffen Sie etwa, die schöne Prinzessin am Fenster zu sehen? Wie war's, wenn wir jetzt zum anderen Ufer hinüberführen?«
    Richter Di nickte. Es war anstrengend gewesen, flußaufwärts zu fahren; Farns Schultern glänzten feucht in der Sonne, die ständig an Kraft gewann. Das Nordufer war weniger dicht bewaldet; hier und da tauchte eine strohgedeckte Fischerhütte zwischen dem grünen Blattwerk auf. Als sie nahe genug herangekommen waren, warf Farn einen mit zwei Backsteinen beschwerten Haken ins Wasser. Das Boot trieb noch ein Weilchen den Fluß hinunter, dann griff der Anker, und es lag still. Zufrieden sagte sie:
    »Das ist genau die richtige Stelle. Als ich neulich mit Tai Min hier war, fingen wir einige prächtige Flußbarsche. Schauen Sie, in diesem Gefäß sind die Krabbenbeine - der beste Köder, den es gibt!«
    »Unser Meister Konfuzius fischte immer mit einer Angelrute«, bemerkte der Richter, während er den Köder zubereitete, »nie mit einem Netz. Er war der Meinung, man müsse dem Fisch eine faire Chance geben.«
    »Ich kenne seine Worte. Als Vater noch lebte, las er immer die Klassiker mit mir zusammen. Er war nämlich der Leiter unserer Dorfschule. Da Mutter starb, als ich noch sehr klein war, verwendete Vater einen großen Teil seiner Zeit auf mich. Ich war das einzige Kind. Nein, nehmen Sie die andere Schnur! Für Barsche brauchen Sie eine längere.« Während sie ihre eigene Leine auswarf, fuhr sie fort: »Wir hatten ein sehr glückliches Leben. Aber als Vater starb, mußte ich in die Herberge hier umziehen, denn Onkel Wei war der nächste Verwandte. Die Bücher, die wir immer gelesen haben, konnte ich nicht mitnehmen; sie gehörten der Schule. Sie als gelehrter Doktor haben sicher eine große Bibliothek, stimmt's?«
    »Eine ziemlich große. Aber wenig Zeit, sie zu benutzen.«
    »Wissen Sie, ich würde gern im Haus eines Gelehrten leben. Bücher über alle möglichen interessanten Themen lesen, mich in Malerei und Schönschrift üben. Das gibt einem ein sicheres Gefühl, wenn Sie verstehen, was ich meine. Als meine Tante noch da war, war es im >Eisvogel< nicht so schlecht, wohlgemerkt. Der Onkel gab ihr nie viel Geld für ihre Kleider, aber sie erbte ein paar Ballen guter Seide, und ich half ihr, neue Sachen daraus anzufertigen. Ihre Lieblingsjacke war aus rotem Brokat gemacht, mit Blumen aus Goldfaden. Sie meinte, sie stünde ihr sehr gut, und sie hatte völlig recht!«
    Der Richter ließ seine Angelschnur in das braune Wasser hinab. Dann nahm er wieder im Bug Platz und sagte:
    »Ja, ich hörte, daß Ihre Tante eine nette Frau gewesen sein soll. Ich kann mir gut vorstellen, daß ein leicht zu beeindruckender Bursche wie Tai Min sich in einer Art jugendlicher Schwärmerei in sie verliebte.«
    »Er war völlig verrückt nach ihr! Ich bin sicher, er hat nur deshalb zu spielen begonnen, weil er in der Lage sein wollte, ihr hin und wieder ein Geschenk zu machen!«
    »Spielen ist ein zuverlässiges Mittel, Geld zu verlieren, und nicht, welches zu gewinnen«, sagte der Richter zerstreut. Er meinte, ein leichtes Ziehen an der Schnur verspürt zu haben.
    »Tai Min gewann. Doch ich glaube, daß Herr Lang ihn absichtlich gewinnen ließ, um ihn hinterher umso besser schröpfen zu können. Bei dem Gedanken an diesen Lang bekomme ich eine Gänsehaut!«
    »Lang? Wo haben sie gespielt?« »Oh, Tai Min suchte Lang ein paarmal in dessen Flügel auf. He, aufgepaßt!«
    Er ließ die Schnur durch seine Finger gleiten. Blitzartig sah er ein Muster vor sich auftauchen. Lang hätte sich niemals ohne einen triftigen Grund um den jungen Kassierer bemüht.
    »Geben Sie ihm mehr Leine!« rief Farn aufgeregt.
    Ja, er würde Lang Leine geben. Viel Leine. Das könnte ihn zu der Verbindung zwischen Längs baufälligem Lagerhaus und den goldenen Palasttoren führen. Abwechselnd die Leine nachlassend und anziehend, versuchte er, die Folgen seiner Entdeckung zu überblicken.
    »Ziehen Sie ihn herein!« zischte sie.
    Während er langsam die Leine einholte, sah er einen

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