Halte meine Seele
sinnlosen Entschuldigungen hatte ich satt!
„Ist Avari auch für meine Albträume verantwortlich? Habe ich diese Todesträume seinetwegen?“
Nash machte ein unglückliches Gesicht. „Ich glaube nicht, dass Hellions bei dir Vorahnungen auslösen können, wenn niemand sterben wird, aber ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher.“
Meine Kiefergelenke schmerzten schrecklich. Anscheinend hatte ich die ganze Zeit mit den Zähnen geknirscht. Wie konnte es sein, dass Nash auf so viele Fragen so wenige Antworten hatte? „Heißt das, du hast von Everett weder eine Telefonnummer noch eine E-Mail-Adresse oder sonst was?“
„Avari informiert mich darüber, wo und wann ich ihn treffe. Deshalb musste ich auch auf die Party gehen. Weil ich von mir aus keinen Kontakt zu Everett aufnehmen kann.“ Ich wollte eine Zwischenfrage stellen, doch er sprach einfach weiter. „Und Fuller genauso wenig. Ich hab ihn schon gefragt. Everett ruft ihn immer an, mit unterdrückter Nummer, und dann vereinbaren sie einen Treffpunkt.“
Sein Blick war düster, und er rieb vor Kälte die Hände aneinander. Trotz der Jacke war auch mir inzwischen saukalt, und ein Teil von mir hätte sich am liebsten an Nash gekuschelt und seine Wärme genossen. Aber ich war noch nicht bereit, ihm wieder so nahe zu kommen.
„Also gut. Avari frisst das Leid, das er auslöst, und Everett bekommt das Geld.“ Sicherheitshalber rutschte ich noch ein Stück von Nash weg. „Aber du leidest gar nicht so wie Doug und Scott.“ Wahrscheinlich, weil er kein Mensch war. „Und du hast kein Geld. Wie will Avari aus dir dann Gewinn schlagen?“
Als Nash die Hände um die Steinbank krallte, dämmerte mir, was Sache war. Eine Welt brach für mich zusammen.
„Das tut er bereits, oder?“ Das Blut rauschte mir in den Ohren, und eigentlich wollte ich die Antwort gar nicht hören. Aber ich musste trotzdem fragen. „Wie bezahlst du ihn, Nash?“
Er schüttelte den Kopf. „Kaylee, das willst du …“
„Mit Dienstleistungen etwa?“ Ich sah ihn eindringlich an. „Du verkaufst das Zeug doch nicht für ihn, oder?“, flüsterte ich leise, denn zu mehr fehlte mir die Kraft.
„Nein!“, entgegnete er empört und strich sachte über meinen Rücken. „Das ist es nicht.“
„Was ist es dann?“ Ich entzog mich seiner Berührung und flehte ihn stumm an – forderte ihn heraus! –, mir die Wahrheit zu sagen. „Wie bezahlst du ihn, Nash?“
Er sank völlig in sich zusammen. „Mit Gefühlen aus der Vergangenheit.“
„Wie bitte?“ Ich runzelte die Stirn. „Was heißt das? Du gibst ihm deine Gefühle? Kannst du etwa nichts mehr fühlen?“ Ich war wie gelähmt vor Entsetzen, das war schlimmer als alles, was ich bisher erlebt hatte. Abgesehen vielleicht von dem dunklen Schrei, der in mir aufstieg, wenn sich der Tod ankündigte.
„Nein, nicht meine aktuellen Gefühle.“ Nash wollte mich beruhigen, aber der düstere Blick passte nicht so recht zu seinem Tonfall, was das Ganze nur noch unheimlicher machte. „Die Gefühle aus meinen Erinnerungen.“
„Er frisst deine Erinnerungen?“ Das war in meinen Augen das Schlimmste, was man jemandem antun konnte. Nash verkaufte die Erfahrungen, die ihn zu dem machten, der er war!
Der Mensch, den ich liebte.
Auf der Suche nach etwas Greifbarem, Solidem, einem Stück Realität, strich ich über die kalte Steinbank. Sie gehörte zu einer Welt, in der Nahrung einfach Nahrung war und Erinnerungen unverletzbar. Unantastbar.
„Nein.“ Er schüttelte entschieden den Kopf und legte eine warme Hand auf meine. Allerdings schien er meine Wärme vielmehr zu stehlen, statt sie zu intensivieren. „Nur die Gefühle, die damit gekoppelt sind. Wenn ich an etwas denke, das früher passiert ist, dann fühle ich nicht dasselbe, was ich damals gefühlt habe. Das sind vergangene Gefühle.“ Mit einem Lächeln versuchte er, mich aufzumuntern, doch es gelang ihm nicht. Kein Stück. „Die brauch ich sowieso nicht mehr, oder?“
Für einen Augenblick wurde mir schwarz vor Augen, und die Geräusche um mich herum klangen leise und dumpf, ich war wie von der Welt abgeschnitten. Doch im nächsten Moment kehrten meine Sinne mit aller Macht zurück, geschärft wie nie zuvor. Das grelle Licht stach mir in die Augen, und meine Haut war taub und starr vor Kälte. „Du brauchst sie nicht? Du willst die Gefühle aus der Vergangenheit also nicht noch einmal erleben?“ Ich entzog ihm meine Hand und sprang wieder auf, und diesmal schaffte er es nicht,
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