Halte meine Seele
Übergang etwas vorstellen?“ Als ich verneinte, nickte er zu meiner Verwunderung mit dem Kopf, als habe er nichts anderes erwartet. „Übergänge sind die Räume und Momente dazwischen.“
„Zwischen was?“ Meine Geduld war langsam echt erschöpft.
„Zwischen allem. Abenddämmerung und Morgengrauen sind zum Beispiel die Übergangsphasen zwischen Tag und Nacht. Türen sind die Übergangsorte zwischen drinnen und draußen. Ergibt das einen Sinn für dich?“ Obwohl ich keineswegs sicher war, ob ich irgendwas begriffen hatte, nickte ich.
„Zwölf Uhr mittags wäre dann also die Übergangszeit zwischen morgens und nachmittags, stimmt’s?“, fragte ich.
Emmas Kopf nickte, und ein zufriedener Ausdruck trat in ihre Augen. „Übergänge sind sehr wichtig, weil sie die Grenzen zwischen den beiden Welten aufweichen und die menschliche Energie für die Unterweltbewohner leichter zugänglich machen. Die Sommer- und die Wintersonnenwende sind die größten und wichtigsten Übergangsphasen von allen. Sie repräsentieren den Übergang zwischen den kürzer und den länger werdenden Tagen. Die Wintersonnenwende ist da unten so was wie Silvester.“
Ich leerte meine Cola und stellte die Dose auf den Schreibtisch. „Ihr schmeißt da unten also praktisch eine Silvesterparty, und ich soll sie platzen lassen?“
„So was in der Art.“ Alec kniff die Augen nachdenklich zusammen. „Ich werde die Gelegenheit nutzen, wenn alle abgelenkt sind, und mir deinen Freund schnappen. Dann müsstest du nur noch zu uns stoßen und uns beide zurückbringen.“
Das klang ziemlich vernünftig – vorausgesetzt, er sagte die Wahrheit.
„Wo findet die Feier statt?“
Alec seufzte. „Soweit ich das in Erinnerung habe – ich war nämlich schon lange nicht mehr auf deiner Seite des grauen Nebels –, ist es direkt gegenüber vom Stadtpark. Da bauen sie zumindest alles auf. Was auch immer sie dort hochgezogen haben, wo mal das alte Gerichtsgebäude stand – es muss ziemlich gut besucht sein, denn das Gebäude färbt stark zu uns durch. Lange Flure und ein leeres Zimmer neben dem anderen.“
Mir rutschte das Herz in die Hose. Er sprach von der Highschool. Meiner Highschool! Sie war vor fünf Jahren gebaut worden, nachdem das Gerichtsgebäude abgebrannt war und man den Verwaltungssitz des Landkreises verlegt hatte.
„Um wie viel Uhr fängt die Party an?“, flüsterte ich. Auf meinen Armen breitete sich eine Gänsehaut aus.
„Bei Dämmerung. In den letzten Minuten zwischen Sonnenuntergang und völliger Dunkelheit, wenn man die Umgebung gerade noch erkennen kann, aber schon die ersten Sterne am Himmel auftauchen. Das ist der perfekte Übergangsmoment.“
Scheiße! Natürlich fing sie bei Dämmerung an. Unser Weihnachtsmarkt öffnete um halb sechs – das entsprach im Moment ungefähr Sonnenuntergang –, genau zur selben Zeit und am selben Ort wie das Übergangsfest!
Das konnte unmöglich Zufall sein. Etwas Schlimmes braute sich zusammen. Etwas, das furchtbarer war als das Auftauchen von Frost und Nashs Gefangenschaft in der Unterwelt zusammen, so unwahrscheinlich das auch klang. Und wenn Emmas Uhr richtig ging, hatte ich nur noch vierzehn Stunden Zeit bis Sonnenuntergang, meiner einzigen Chance, Nash da rauszuholen.
„Wir treffen uns also um halb sechs beim Vordereingang der …“ Fast hätte ich Highschool gesagt. „Des neuen Gebäudes, und dann gehen wir von dort …“
Alec unterbrach mich, ehe ich den Gedanken zu Ende führen konnte.
„Pst, er kommt!“, flüsterte er panisch. Dann fügte er schnell hinzu: „Ja. Halb sechs am Vordereingang, egal, was passiert. Ich muss …“ Und von einer Sekunde auf die andere war Alec verschwunden.
Doch anstatt in sich zusammenzusinken und einzuschlafen wie beim letzten Mal, als Alec ihren Körper verlassen hatte, stand Emma auf einmal stocksteif wie ein Bettpfosten da. Sie drehte ganz langsam den Kopf hin und her und musterte das Zimmer, bevor sie meinem Blick begegnete. Dann verzog sie den Mund zu einem trägen, spöttischen Grinsen.
„Na sieh mal einer an, das ist ja interessant …“
Obwohl ich ihn seit einem Monat nicht gesehen hatte, erkannte ich die Stimme sofort wieder.
Avari.
21. KAPITEL
„Ms Cavanaugh, wie schön, Sie hier zu sehen.“ Der Hellion schwieg und ließ den Blick noch einmal durch den Raum schweifen. „Wo auch immer ‚hier‘ sein mag.“
Nachdem sich der erste lähmende Schock gelegt hatte, atmete ich erleichtert auf. Wenn er nicht wusste,
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