Halva, meine Sueße
zu
bekommen.
»Also, was ist? Kommst du nun mit?« Mudi stand vor dem
Badezimmerspiegel und verteilte sorgsam Gel in seinen langen
Haaren. »Du bist noch nicht mal umgezogen. Beeil dich.«
Er drehte seinen Kopf einige Male hin und her und musterte
sich dabei aufmerksam.
Halva lehnte im Türrahmen und schaute ihrem Bruder
mit einem spöttischen Lächeln zu. »Ich weiß nicht. Ich studiere
doch noch nicht. Was soll ich denn da?«
»Na, tanzen und Spaß haben.«
»Spaß? Ich glaube, du fragst mich nur, damit du nicht
allein rumstehen musst, Mudi. Ich kenne dich doch.«
»Da täuschst du dich. Ich habe nämlich schon jede Menge
Freunde und Bekannte!«, gab Mudi vor.
»Na, dann …« Halva löste sich vom Türpfosten und tat,
als ob sie in ihr Zimmer gehen wollte. Sie wusste genau,
wie ungern Mudi allein auf Veranstaltungen ging. Dennoch
ließ sie ihren Bruder gerne etwas warten. Allerdings erschien es ihr an diesem frostigen Freitagabend auch wirklich verlockend,
weiter in ihrem Buch zu lesen: »Sturmhöhe« von
Emily Brontë. Die Leidenschaft zwischen Cathy und dem
dunklen, mürrischen Heathcliff schlug sie in ihren Bann.
Konnte es denn für die Liebe der beiden ein glückliches
Ende geben? Die Geschichte erinnerte sie an klassische iranische
Liebesgeschichten, wie Mamii sie ihr erzählt hatte.
Geschichten von starken Gefühlen, die ihren Helden keinen
Ausweg ließen. Halva seufzte. Hatte sie wirklich Lust, in die
Kälte hinauszugehen, und dazu noch auf ein Fest, wo sie
keinen Menschen außer Mudi kannte? Sie würde sich doch
wie das fünfte Rad am Wagen vorkommen, sobald Mudi
einige seiner Kommilitonen traf. Das wusste sie schon jetzt.
»Andere wären froh«, hörte Halva Mudi hinter sich sagen
und sie lachte kurz auf.
»Dann nimm doch mal die anderen mit!«
Mudi drehte sich um und sah sie fast flehend an. »Halva,
bitte. Komm mit. Ich würde dasselbe für dich tun, das weißt
du.«
Sie zögerte noch immer, aber schließlich sagte sie: »Also
gut. Warte unten auf mich. Ich bin gleich fertig.«
Mudi nebelte sich noch mit
Drakkar Noir
ein und drückte
sich dann an Halva vorbei die Treppe hinunter. »Bis gleich.
Ich bin im Wohnzimmer.«
»Okay.« Halva warf sich im Spiegel einen kurzen Blick
zu. Gott sei Dank hatte sie sich am Morgen die Haare gewaschen.
Sie drehte ihr Gesicht ins Halbprofil, ein Winkel,
aus dem ihr ihre Nase weniger auffiel. Hm. Zuerst musste
sie entscheiden, was sie anziehen sollte. Wie hatte sie sich
eine Erstsemesterparty vorzustellen? Eine riesige Halle, sehr laute Musik, Bierflaschen, die überall auf dem Boden verstreut
lagen und klebrige Lachen bildeten. Bunte Lichter
warfen einen gnädigen Schleier über das ganze trübselige
Bild. Also am besten nicht zu chic, entschied sie und ging in
ihr Zimmer. Sie öffnete den Kleiderschrank. Ihre schmalen,
engen Jeans trug sie bereits, aber was dazu? Sie schlüpfte
aus ihren dicken Lesesocken in hohe schwarze Stiefel, zog
sich eine weiße Bluse über den Kopf und wählte dazu einen
schwarzen Ledergürtel, den sie in einem Secondhand-Laden
gekauft hatte und der mit türkisfarbenen Steinen und Silber
beschlagen war. Die Jeans saß zwar auf der Hüfte, aber betonte
dennoch ihre schmale Taille, auf die sie stolz war.
»Kommst du?«, rief Mudi nach oben.
»Gleich!«
Wieder im Badezimmer zog Halva sorgsam den schwarzen
Khôl um ihre Augen nach, die nun noch größer und
ausdrucksvoller wirkten. Ihr helles Grün bekam durch den
Lidstrich einen intensiven, unwirklichen Schimmer, der die
Leute faszinierte, das wusste sie. Sie puderte sich rasch die
feinporige Haut und legte etwas Rouge auf Wangen und
Kinnspitze auf. So, nun sah sie frisch aus. Was war mit den
Haaren? Nicht viel, entschied sie und fuhr sich mit den Händen
ein, zwei Male durch die dichten glänzenden Wellen,
die bis auf ihre Schulterblätter fielen. Vom Regal neben der
Dusche nahm sie eine kleine Dose aus Zedernholz, in der
sie ihren Schmuck aufbewahrte, und suchte die silbernen
Kreolen aus, die ihr Vater ihr zum achtzehnten Geburtstag
vor einigen Wochen geschenkt hatte. So, fertig. Oder: fast
fertig, denn vor dem Hinausgehen fiel ihr Blick noch auf das
Parfum, das sie von Mudi bekommen hatte. Es war
Quelques fleurs
von
Houbigant,
ein seltener, altmodischer Duft, der
in seiner ursprünglichen Zusammensetzung kaum noch zu
kaufen war. Es gab zwar mittlerweile überall eine verwässerte
pappsüße Neuauflage des Duftes namens
Quelques fleurs
l'original,
doch die beiden ließen sich
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