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Halva, meine Sueße

Halva, meine Sueße

Titel: Halva, meine Sueße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Lebens,
von neuer Not und verhafteten Leuten, deren Namen Halva
kein Begriff mehr waren. Sie versuchte vergeblich, den Absender
zu entziffern, denn sie las und schrieb Farsi nicht
mehr sehr gut. Als sie vor zehn Jahren nach Deutschland gezogen waren, hatten ihre Eltern viel Zeit und Geld darin
investiert, dass Mudi und sie so gut wie möglich Deutsch
lernten. Der Iran und seine Sprache waren ihre Vergangenheit.
Hier waren ihre Gegenwart und Zukunft.
    »Kannst du das lesen?«, fragte Halva Mudi, der kurz die
Augen zusammenkniff. »Nee, ziemliche Sauklaue. Ist das
noch Geburtstagspost für dich?«
    »Kaum. Er ist an Papa adressiert. Wer weiß, wie lange er
schon da versteckt liegt.«
    »Schau doch auf den Poststempel«, schlug Mudi ungeduldig
vor.
    »Den kann ich auch nicht entziffern.«
    »Leg ihn einfach hier in die Briefschale. Sonst kommen
wir nie weg«, sagte ihr Bruder jetzt leicht genervt.
    »Also gut.« Halva legte den Brief in die Schale aus Metall,
in die eine Szene aus dem Koran eingraviert war: Schöne
junge Mädchen tanzten um einen Baum, der Früchte trug.
    »Keine Sorge, Papa wird ihn schon finden.« Mudi öffnete
die Tür. Er zog Halva mit sich in den Hausflur und dann
hinaus in die kalte Oktobernacht. Die frische Luft traf ihre
Lunge wie ein Schlag und sie sog sie beinahe gierig ein. Ein
Schritt vor ihre Wohnungstür war in tausend, oft nicht in
Worte zu fassenden Einzelheiten auch ein Schritt in eine
andere Welt. Zwei Welten, die Halva problemlos vereinte,
denn keine schloss die andere wirklich aus. »Weißt du, was,
Mudi? Wir haben verdammtes Glück«, sagte sie plötzlich.
    »Warum?« Mudi kramte in seinem Geldbeutel nach seiner
Monatskarte.
    »Weil wir zwei Welten angehören dürfen. Ich konnte mir
lange nicht vorstellen, dass das geht.«
    Als Halva in die Straßenbahn stieg und das Gefährt sich
ruckartig in die richtigen Gleise einordnete, hatte sie den
Brief mit der mühsam geschriebenen Adresse und dem ihr
unbekannten Absender bereits wieder vergessen.

Kai zahlte die fünf Euro Eintritt und tauchte dann in das
willkommen heißende Dämmerlicht der Aula ein, die für die
Erstsemesterparty zur Disco umfunktioniert worden war. Er
schaute sich um und sah im hinteren Eck einige seiner ehemaligen
Schulkameraden stehen. Sie hingen immer zusammen
und irgendwie hatte er hier in der Uni darauf nicht so
viel Lust. Es sollte doch ein neuer Lebensabschnitt sein, oder
etwa nicht?
    Gleichzeitig verwirrten ihn die Abläufe an der Universität.
Wenn Mudi sich nicht mit ihm hingesetzt und seinen
Stundenplan mit Seminaren und Vorlesungen durchgegangen
wäre, würde er wahrscheinlich noch immer planlos von
Veranstaltung zu Veranstaltung irren.
    Stefan, ein Bekannter aus der Schule, legte ihm den Arm
um die Schulter. »Hey, Kai. Wir gehen nach der Party hier in
die
Wunderbar.
Kommst du mit? Carlos legt auf.«
    »Mal sehen.«
    »So nach Mitternacht. Halt einfach nach mir Ausschau.
Dann können wir Autos teilen. Aber vielleicht bleibe ich
auch hier, wenn ich mir die ganzen hübschen Philosophiestudentinnen
so ansehe!«
    Kai lachte. »Bis später vielleicht.«
    »Yup. Viel Spaß.«
    Er ging weiter. War Mudi bereits da? Er wollte kommen,
hatte er gesagt. Oder Selina? Im Halbdunkel verschwammen
die Gesichter und die Musik pulsierte durch seine Adern. Er
beschloss, sich erst einmal etwas zu trinken zu holen, schon,
um sich daran festzuhalten, während er wartete.
    »Eine Cola, bitte«, sagte er zu dem blonden Mädchen hinter
der Theke, die zwischen zwei Säulen aufgebaut worden
war. Sie lächelte ihn flüchtig an, kassierte ab, und einen Augenblick
später hielt er die Flasche in der Hand, die so kalt
war, dass sich daran Kondenswasser sammelte. Er drehte sich
um und entdeckte Mudi, der durch die dichter werdende
Menge auf ihn zukam. Kai sah seinem Freund erstaunt entgegen,
denn er hielt ein Mädchen an der Hand, das weder nach
rechts noch nach links blickte, sondern ihm nur folgte. War
das seine Freundin? Davon hatte er noch gar nichts erzählt.
    »Kai, da bist du ja. Halva, das ist Kai, von dem ich dir
erzählt habe. Kai, das ist meine Schwester Halva.«
    Natürlich, Mudis Schwester! Kai nahm Halva einen Moment
in Augenschein: Sie hatte denselben hellen Teint wie
Mudi und auch so dichte Haare wie er. Sie lächelte ihn zur
Begrüßung mit geschlossenen Lippen an und wandte sich
dann ab, um sich in der Aula umzuschauen. Wow, was für
Augen, dachte Kai. So eine Farbe hatte er noch nie bei einem
Mädchen gesehen. Sie

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