Halva, meine Sueße
überhaupt nicht miteinander
vergleichen. Halva ließ einen dichten Schleier des
Parfums auf sich niedergehen und sog das Aroma von Lilien,
Jasmin und Tuberose beinahe gierig ein. »Das ist nichts für
schüchterne Mädchen«, hatte Mudi gesagt, als er ihr den
Flacon überreicht hatte. Stimmt. Sie roch wie die hängenden
Gärten der Semiramis und fühlte sich damit sehr wohl, als
sie die Treppe hinuntersprang.
»So, fertig!«, rief sie ins Wohnzimmer, das noch leicht nach
dem Eintopf aus Lamm und Aubergine roch, den Raya gekocht
hatte. Aus der Ecke des Zimmers plärrte wie an jedem
Freitagabend der Fernseher. Weshalb musste ihr Vater ihn
immer so laut stellen? Er hatte dasselbe Problem mit seinem
Telefon: Jedes Mal, wenn er telefonierte, sprach er so laut in
sein Handy, dass Halva sich wunderte, weshalb er es überhaupt
benutzte, denn man verstand ihn auch so locker bis
nach Rom.
»Das ging ja schnell. Aber toll siehst du aus«, sagte Mudi,
als er aus dem Wohnzimmer kam. Hinter ihm erschien
Cyrus, der wie immer unauffällig kontrollierte, wie Halva
sich vor dem Weggehen zurechtgemacht hatte. Diesen Blick
beherrschten ihr Vater und auch ihr Bruder vollkommen,
dachte Halva amüsiert. Er dauerte kaum länger als ein Wimpernschlag,
aber erfasste mehr als ein Röntgenstrahl. Raya
schaute ebenfalls kurz um die Lehne ihres Fernsehsessels.
»Wie hübsch du bist, Halva«, sagte Miryam, die auf dem Kissen neben der Heizung kauerte und sich gerade eine Pistazie
nahm. Die Nüsse standen neben den Datteln und der
dunklen Schokolade in kleinen silbernen Schalen auf dem
niedrigen Couchtisch. Raya hatte sie in einem Kreis rund um
den in allen Farben des Regenbogens schimmernden Zimmerspringbrunnen
arrangiert. Dann sah Miryam auf Halvas
hohe, dunkle Stiefel. Ihr Blick bekam etwas Lauerndes. »Solche
Stiefel sind im Iran verboten. Wenn dich die Sittenpolizei
damit erwischt, kann es Stockhiebe setzen.«
Halva schüttelte den Kopf. »Unglaublich.«
»Gut, dass wir nun hier leben. Und du jetzt auch«, sagte
Raya sanft und bestimmt.
»Bist du sicher, dass du nicht mitkommen möchtest?«,
wechselte Halva das Thema. Doch Miryams Aussehen war
Antwort genug auf diese Frage. Sie trug eine Jogginghose
und ein viel zu großes T-Shirt. Ihre Haare waren fettig und
sie hatte sie achtlos hinter die Ohren gesteckt. Es war offensichtlich,
dass sie nicht ausgehen wollte. »Ich bin zu alt für
eine Erstsemesterparty«, sagte sie dann auch.
»Das stimmt allerdings. Autsch!« Mudi hielt sich das
Schienbein, vor das Halva ihn warnend getreten hatte. »Ich
meine, schönen Abend. Was schaut ihr euch an?«
»
Tatort.
Euch auch viel Spaß. Halva, du bist bis Mitternacht
daheim, ja? Mudi, ich verlasse mich auf dich.«
»Klar doch, Baba. Wir nehmen zusammen die letzte Straßenbahn,
okay?«
Sie schlossen die Tür zum Wohnzimmer und schnitten
sich eine Grimasse, während Halva in ihre Jeansjacke
schlüpfte. Vielleicht war sie nicht warm genug, aber sei es
drum, ihr Wintermantel hing noch im Keller. Halva griff nach ihrem dunkelroten Paschmina-Schal und wickelte ihn
sich um die Schultern, während Mudi schon den schweren
gewebten Vorhang von der Tür wegzog, der die Zugluft des
Hausflurs aus der Wohnung halten sollte.
Etwas raschelte und fiel zu Boden.
»Was ist denn das?«, fragte Halva und bückte sich. Aus den
Falten des Vorhangs war ein Brief gefallen. Einer dieser Briefe,
der Nachricht und Umschlag in einem war. Solch dünnes
hellblaues Papier, das beschrieben, gefaltet und dann auf der
Rückseite adressiert wurde, gab es in Deutschland gar nicht
zu kaufen. Er war an ihren Vater adressiert, doch die lateinischen
Buchstaben sahen mühsam und krakelig aus – dem
Absender fehlte offensichtlich die Gewohnheit, in dieser
Schrift zu schreiben. Die Briefmarken stammten wie erwartet
aus dem Iran. War es Post von Mamii? Halva roch kurz
an dem Umschlag. Doch sie nahm nicht, wie erhofft, den
Duft von frischem Jasmin wahr, sondern nur die Mischung
einer grauen Amtsstube und dem Cargoraum eines Flugzeuges.
Mamii würde ihren Brief sicher auch nicht an Cyrus
adressieren, sondern an Raya oder Halva selber, fiel ihr dann
ein. Sie drehte den Umschlag um. Der Name des Absenders
war in Farsi geschrieben, und ihr Herz schlug schneller, wie
jedes Mal, wenn sie die Schrift ihrer Heimat sah. Farsi war
Tinte und Zeichen gewordene Anmut, aber ein Brief aus
dem Iran brachte nur selten gute Neuigkeiten. Selbst Mamiis
Briefe sprachen von der Härte des alltäglichen
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