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Halva, meine Sueße

Halva, meine Sueße

Titel: Halva, meine Sueße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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ihr
unmöglich, ihre wahren Gefühle zurückzuhalten. Weshalb
hatte Kai nicht angerufen? Er hatte es doch versprochen,
oder?
    Sie schluckte und öffnete das Paket Sesam. Normalerweise
versuchte sie, nicht zu backen, wenn sie traurig war.
Irgendwie gelang ihr die Halva nicht richtig, wenn sie den
Kopf mit anderen Dingen voll hatte. Das Konfekt verlor dann etwas von seiner Leichtigkeit. Aber heute musste sie
eine Ausnahme machen, entschied sie und rollte die Ärmel
ihres Pullovers hoch, ehe sie sich eine Schürze umband.
    Kai, Kai, Kai, dachte sie, als sie den Sesam abwog. Nein!,
wehrte sie sich dagegen. Doch das machte es nur noch
schlimmer: Kai, Kai, Kai, Kai, schlug nun ihr Herz. Das war
doch lächerlich! Aber gerade deshalb wurde es stärker und
immer stärker.
    Welche Berge von Halva hatte sie zubereitet, seitdem
Mamii sie an jenem Wintermorgen in Teheran in die Küche
ihres verlassenen Hauses geführt hatte? Was damals auf dem
langen Tisch gestanden hatte, füllte auch heute die Theke in
der warmen kleinen Küche des Cafés: Eier, Zucker, Sesam,
Nelken, Zimt, Pinienkerne, Mandeln. Daneben der Honig
und die Flaschen mit bestem kalt gepresstem Öl und dem Rosenwasser
aus der Apotheke. Mamii hatte es im Iran immer
auf dem Basar gekauft. Das Rosenwasser hier hatte einfach
nicht dieselbe feine Würze, aber es ging gerade noch.
    Halva wischte sich schnell die Augen und versuchte, ihre
Gedanken wieder auf die Halva zu lenken.
    Er hatte nicht angerufen. Das ganze Wochenende nicht.
Sei es drum. Sollte er doch mit seiner Blondine mit dem
dicken Busen und dem viel zu engen Kleid gehen, wenn er
es wollte. Sie hob stolz das Kinn. Gut, dass sie ihrer Mutter
noch nichts von Kai erzählt hatte. Keine iranische Mutter
sah es gern, wenn ihre Tochter sich nach einem Mann verzehrte.
Männer hatten sich gefälligst nach ihren Töchtern
zu verzehren.
    Sie drehte sich rasch nach Miryam um, die konzentriert
Pitabrote füllte, verbot sich dann jedoch den Blick auf ihr Handy, das am Rand der Theke lag und stur dunkel und
stumm blieb. Blödes Ding!
    Halva atmete tief durch und stellte die Pfanne aufs Feuer.
Die Flammen zischten blau vor Hitze auf. Mit Gas zu kochen,
war viel einfacher als auf dem Elektroherd daheim.
Feuer an, Feuer aus. Wenn sie doch ihre eigenen Gefühle so
einfach löschen könnte, dachte sie, während Öl in die heiße
Pfanne tropfte und sie den Sesam vorsichtig toastete. Rösten
war zu viel gesagt, denn die Sesamkerne sollten nur den
Hauch eines goldenen Schimmers bekommen, diese Ahnung
von Wärme, die den Mund füllte. Sie hackte mit gekonnten
Bewegungen aus dem Handgelenk die Mandeln klein und
splitterte die Pinienkerne in Hälften. In einem Mörser zerstampfte
sie die Nelken, kleine Stifte, die zu dunklem Puder
wurden. Ihr würziges Aroma stieg Halva in die Nase und
kitzelte ihr die Tränen aus den Augen, die dort hartnäckig
auf ihr Stichwort warteten. Das Stichwort war KAI.
    Halva wischte sich verstohlen die Augenwinkel, ehe sie
eine tiefe Metallschüssel vom Regal nahm und die Eier teilte.
Sie begann, das Eiweiß mit der Hand zu schlagen, denn ein
elektrischer Mixer quirlte ihm das Leben aus dem Leib.
    Bitte mit Gefühl, dachte sie, als die ersten schneeigen
Hügel in der Schüssel stiegen. Sie schlug und schlug, doch irgendwie
wollten sich die Eischneeberge heute nicht so leicht
erheben wie sonst. Halva biss sich auf die Lippen. Sie durfte
ihre Traurigkeit nicht in die Halva bringen, auf keinen Fall,
mahnte sie sich und griff zum Zucker, den sie behutsam über
den Eischnee stäubte. Die Gipfel bekamen einen gleißenden
Glanz und Halva war zum ersten Mal an diesem Morgen
zufrieden: na, also. Es ging doch.
    Kai – wer-bitte-schön?
    Sie hob die Schale mit dem gezuckerten Eischnee in ein
Wasserbad und erhitzte es sanft, sodass es erst siedete und
dann köchelte. Als der Eischnee leicht an den Rändern der
Schüssel zu stocken begann, ließ sie den Honig eintropfen,
vorsichtig, um mit seiner Schwere die Leichtigkeit des Eischnees
nicht zu erschlagen. Halva richtete all ihre Kraft
und Gedanken auf die Arbeit und hob Mandeln, Pinienkerne
und die zerstoßenen Nelken unter. Sie rührte die Halva,
bis sie mehr und mehr stockte, und ließ zuletzt die goldenen
Sesamsamen darüberrieseln. Nach einer halben Stunde war
die Halva fest geworden.
    Halva holte Atem. Denn nun kam der kritische Moment,
in dem sie die fest gewordene Eischneemasse zum Auskühlen
auf ein Brett heben musste. Jetzt konnte alle Mühe umsonst
gewesen

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