Halva, meine Sueße
platzten
aus dem Grau des Morgens. Kai lachte mit blitzenden Zähnen
und sein Atem formte dabei Wolken vor seinem Mund.
Halvas Herz schlug Purzelbäume, vorwärts, rückwärts,
seitwärts, und sie kannte die Antwort auf ihre Frage: ja. Ja,
ja und ja.
»Bist du jetzt fertig?«, fragte Kai, als er ins Café kam. Die
Luftballons passten kaum durch die Tür und Halva und er
kämpften kurz mit dem Durcheinander an Schnüren und
Ballons. Dann füllte der bunte Strauß das Café beinahe
aus. Halva musste lachen, als ein Ballon an ihre Nase stieß.
Miryam sah neugierig aus der Küche und Kai begrüßte sie
freundlich.
Halva warf Miryam einen raschen Blick zu. »Ja … ich
meine, ich muss auf meine Mutter warten.«
»Das mache ich, Halva«, sagte Miryam schnell auf Farsi
und Halva übersetzte für Kai.
»Wunderbar.« Kai strahlte sie beide an. »Dann lass uns
jetzt frühstücken gehen, okay?«
»Frühstücken?«, fragte Halva. Außer nach ihrer Morgenschicht,
wenn sie sich vor der Schule im Café ein Sandwich
machte, hatte sie immer nur daheim gefrühstückt. Was für
ein herrlicher Luxus, dachte sie augenblicklich.
»Klar. Im
Café
Drexl, kennst du das?«
»Ja, natürlich. Ich gehe manchmal daran vorbei. Ist das
nicht eher was für alte Damen?«
»Ich mag es gerade
wegen
der alten Damen. Eine davon
trägt immer knallroten Lippenstift und behält auch beim
Kaffeetrinken ihren Leopardenhut auf. Es ist eine Mischung
aus Wiener Caféhaus und dem Wartesaal in einem kleinen
Bahnhof.«
»Klingt gemütlich.«
»Dann lass uns gehen, ehe uns die alte Dame mit Leopardenhut
den besten Tisch wegnimmt. Wann geht denn dein
erster Kurs los?«
»Heute erst um halb zehn.«
»Dann haben wir ja jede Menge Zeit.« Kai nahm einen gelben
Ballon aus dem Bündel und reichte ihn Miryam mit seinem
charmantesten Lächeln. »Danke fürs Stellunghalten.«
»Ich mag Deutschland«, sagte Miryam auf Farsi zu Halva
und zupfte an der Ballonschnur.
»Ich auch«, antwortete Halva.
Doch Miryam fügte noch leise hinzu: »Sei vorsichtig,
Halva. Eine muslimische Frau soll nur mit einem muslimischen
Mann gehen.«
Halva schluckte vor Überraschung. Was waren denn das
für Sprüche? Sicher, so wollten es Fundamentalisten, von
denen sie in den Nachrichten hörte, aber doch nicht ihre
Familie! Sie konnte sich nicht erinnern, dass Baba ihr je irgendwelche
Vorträge darüber gehalten hätte, mit wem sie
sich treffen durfte und mit wem nicht. Religion war ein Teil
ihres Lebens, doch kein Teil, der einschnitt und verbot. Religion
gab und nahm nicht. Sie spürte eine zornige Röte über den Hals in ihre Wangen kriechen, aber es gelang ihr,
ihre Stimme ruhig klingen zu lassen, als sie sagte: »Wir sind
hier nicht mehr im Iran, Miryam. Gott sei Dank nicht. In
Deutschland ist man frei und tut, was man möchte.«
Miryam spielte mit einer Haarsträhne und ließ Halva
noch immer nicht aus den Augen. In ihrem Blick tanzte ein
seltsames Licht. »Das hat nichts mit dem Land zu tun, in
dem du bist, sondern mit deinem Glauben. Der gilt überall.
Aber wenn du meinst … Danke ihm für den Ballon.«
Halva nickte knapp. Sie versuchte, Miryam nicht böse zu
sein. Schließlich war sie gerade erst hier angekommen und
bewertete die Dinge natürlich noch nach iranischen Maßstäben.
Das würde sich schon legen. Außerdem wollte sie das
gerade gefundene Vertrauen zwischen ihrer Tante und ihr
nicht wieder zerstören. »Das tue ich«, sagte sie deshalb nur.
Kais Blick ging zwischen Halva und Miryam hin und her. »Alles klar? Wo ist deine Jacke?«, fragte er.
»Hier.« Halva hob ihren Wintermantel vom Haken, doch
Kai nahm ihn ihr ab und half ihr hinein. Sie genoss die Aufmerksamkeit
und seine Hände ruhten einen Augenblick länger
als notwendig auf ihren Schultern. Sie lehnte sich einen
Wimpernschlag lang an ihn. Dann ließ er sie los und beugte
sich über die Vitrinen, wo er die Tabletts mit der Halva entdeckt
hatte. »Hm. Das sieht verdammt gut aus, was du da
zubereitet hast. Darf ich mal kosten?«
»Nein«, sagte Halva schärfer, als sie es eigentlich wollte.
»Nein?« Kais Stimme klang erstaunt. »Aber warum denn
nicht? Ich rücke auch alles wieder zurecht, wie es war. Versprochen.
Niemand merkt was. Im unbemerkten Naschen
bin ich Weltmeister.«
Halva musste lächeln. »Nein. Diese Halva sagt nicht das
Richtige aus. Ich meine, nicht das Richtige für dich, in diesem
Moment. Deshalb.«
»Sie
sagt
nicht das Richtige aus?« Kai warf den mit Mandeln
belegten Stücken in
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