Hand aufs Glück: Mittsommerherzen (German Edition)
Illusion.
„Du solltest wirklich Feierabend machen, Sabrina“, sagte Inga einige Tage später. „Seit deiner Ankunft hast du dieses Büro kaum einmal verlassen. Du bist ja schon ganz bleich und hast Ringe unter den Augen.“
Sabrina lachte leise. „Vielen Dank für das Kompliment.“
„Das war nicht als Kompliment gemeint“, erwiderte Inga streng. „Leg eine Pause ein. Ewig macht der Körper einen solchen Stress nicht mit – dasselbe habe ich versucht, deinem Vater zu erklären, aber er wollte ja nicht auf mich hören …“
Seufzend fuhr Sabrina sich durchs Haar. Sie wusste ja, dass Inga recht hatte, doch sie konnte es sich einfach nicht erlauben, ausgerechnet jetzt kürzerzutreten. Ausruhen konnte sie immer noch, wenn sie eine Lösung für
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gefunden hatte.
„Ist der für mich?“, fragte Sabrina, um abzulenken, und deutete auf den Briefumschlag, den Inga in der Hand hielt.
„Ach, den hätte ich ja beinahe vergessen!“ Sie reichte ihn an Sabrina weiter, die ihn achtlos auf den Schreibtisch legte. „Und jetzt nimm endlich Vernunft an und mach Schluss für heute.“
„Ich verspreche, dass ich heute nicht mehr lange arbeite. Nur noch ein paar Unterlagen, dann bin ich fertig.“
Damit gab sich Inga zwangsweise zufrieden. Nachdem sie in die Küche gegangen war, um dort das Abendessen vorzubereiten, seufzte Sabrina. Von Sigmund, dem es schon etwas besserging, hatte sie etwas Ähnliches zu hören bekommen, als sie ihn gestern im Krankenhaus besuchte hatte. Vielleicht nicht mit denselben Worten, doch die Botschaft war die Gleiche: Sie sollte sich eine Auszeit gönnen, nicht so viel arbeiten und sich vor allen Dingen nicht so viele Gedanken über die Zukunft der Firma machen.
„Du kannst nicht die ganze Welt retten“, hatte Sigmund zu ihr gesagt. „Wenn du das versuchst, bist du schon von vorneherein zum Scheitern verurteilt.“
Vielleicht stimmte das. Doch woher sollte sie es wissen, wenn sie es nicht zumindest versuchte? Außerdem ging es längst nicht mehr nur um die Firma.
Zwei Tage waren inzwischen vergangen, seit Jonas sie im Wald geküsst hatte. Zwei Tage, in denen kaum eine Sekunde vergangen war, ohne dass sie an ihn hatte denken müssen. Sie sehnte sich so sehr nach seiner Nähe, dass es schon beinahe körperlich schmerzte. Zugleich schrak sie aber auch jedes Mal zusammen, wenn sie aus dem Fenster blickte und ihn zum Gästehaus hinübergehen sah.
Absurd. Jonas verkörperte alles, was Sabrina auf dieser Welt verabscheute. Er war ein Anwalt, wie Daniel. Also hatte er gelernt, Menschen zu benutzen und zu manipulieren. Dass er sie, Sabrina, geküsst hatte, bedeutete nicht etwa, dass er irgendetwas für sie empfand. Nein, für ihn war der Kuss nur Mittel zum Zweck gewesen! Und in Sabrinas Fall war dieser Zweck nicht schwierig zu ermitteln: Er wollte sie dazu bringen,
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an seinen Mandanten zu verkaufen, und zwar zu dessen Konditionen.
Sie wusste das alles – zumindest so viel hatte sie aus dem Reinfall mit ihrem Exverlobten gelernt. Dennoch weigerte sich ein Teil von ihr noch immer, es zu akzeptieren, wollte nicht wahrhaben, dass Jonas jedes Mittel recht war, um einen Vertragsabschluss zu erreichen.
Seufzend barg sie das Gesicht in den Händen. Es musste ihr irgendwie gelingen, Jonas’ leidenschaftliche Küsse aus ihrer Erinnerung zu verbannen. Vielleicht hatte er ja den Charmanten und Verständnisvollen gespielt, doch Sabrina wusste es besser. Sie würde nicht zulassen, dass etwas Derartiges noch einmal geschah, ganz gleich, wie gut es sich auch angefühlt hatte.
Sie wollte gerade aufstehen und Feierabend machen, wie sie es Inga versprochen hatte, als ihr Blick auf den Umschlag fiel, den Inga ihr gegeben hatte und der nun oben auf dem großen Stapel Mahnungen lag. Erst jetzt entdeckte sie das kleine Emblem, das ganz oben rechts auf das Kuvert gedruckt war.
„O Gott, die Bank!“, stieß sie erschrocken hervor, riss den Umschlag auf und zog ein einseitiges Schreiben heraus. Sie wurde bleich, als sie den Text überflog. Ihre schlimmste Befürchtung erfüllte sich: Die Bank drohte, die laufenden Kredite aufzukündigen, wenn die fälligen Raten nicht schleunigst beglichen wurden.
Ein paar Minuten saß Sabrina einfach nur da, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Ihr Herz hämmerte wie verrückt, und ihre Gliedmaßen fühlten sich kalt und taub an. Tränen der Verzweiflung stiegen ihr in die Augen. Was sollte sie jetzt bloß tun?
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