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Hand und Ring

Titel: Hand und Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
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mich in eine Falle gelockt!
    Wie betäubt sank sie auf den Stuhl zurück und sah Ferris geisterbleich und verzweifelt an. Es war ein bemitleidenswerter Anblick, aber Ferris gehorchte der gebieterischen Pflicht.
    Wenn ich Ihnen einen Fallstrick gelegt habe, Fräulein Dare, sagte er nach kurzem Besinnen, so geschah es nur, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, wie es die Gerechtigkeit verlangt. Ich bin überzeugt, daß Sie nicht alles ausgesagt haben, was Ihnen von dem Verbrechen bekannt ist; Sie besitzen die unumstößliche Gewißheit, daß Mansell den Mord begangen hat, mag auch zu seiner Verteidigung vorgebracht werden, was da wolle. Nennen Sie mir die Tatsache, die Sie verschwiegen haben: ich fordere dies kraft meines Amtes. Heute und unter vier Augen haben Sie zwar das Recht, mir die Antwort zu verweigern, aber morgen nicht mehr, wenn ich die Frage in Gegenwart von Richtern und Geschworenen an Sie stellen werde.
    So wollen Sie morgen mein Zeugnis abermals verlangen? flüsterte sie in heiserem Ton.
    Ich muß es tun.
    Aber das Zeugenverhör ist geschlossen; es fehlen nur noch die Schlußbemerkungen der Anwälte und die Fragestellung an die Geschworenen.
    In einem Fall wie der vorliegende kann Wiedereröffnung beantragt werden. Als Bezirksanwalt muß ich den Antrag stellen, wenn ich glaube, beweisen zu können, daß die Verteidigung sich auf eine falsche Voraussetzung stützt, oder wenn eine neue, wichtige Tatsache zu meiner Kenntnis gekommen ist. Der Gerichtshof wird sicherlich darauf eingehen.
    Imogen saß wie vernichtet da; nach einer Weile faßte sie sich und deutete auf einen verhängten Alkoven am andern Ende des Zimmers. Lassen Sie mir dort fünf Minuten Bedenkzeit, allein und ungestört – fünf Minuten, um mit mir zu Rate zu gehen.
    Gut, Sie sollen sie haben, lautete die Antwort.
    Sie schritt nach dem Alkoven hinüber. Wenn die Uhr neun schlägt, komme ich wieder heraus, sagte sie mit heiserer Stimme und verschwand hinter dem Vorhang.
    Während der fünf endlos langen Minuten ging Ferris allein im Zimmer auf und ab. Hinter dem Vorhang vernahm man keinen Laut, es herrschte eine wahre Totenstille. Er hatte versprochen, das Mädchen nicht zu stören; sie sollte den Kampf allein ausfechten dürfen. Als die Uhr neun schlug, fuhr er zusammen, eine geheime Furcht beschlich ihn. Der Vorhang bewegte sich nicht, kein Zeichen verriet, daß sie zum Vorschein kommen werde. Noch zögerte er, sie zu rufen, als ihm plötzlich der Gedanke kam, daß der Alkoven einen zweiten Ausgang haben, und sie seine Nachsicht mißbrauchen könnte, um die Flucht zu ergreifen. Rasch schritt er zu dem Vorhang hin, aber ehe er noch die Hand erhoben hatte, um ihn zurückzuziehen, teilte er sich, und Imogens Gestalt war in der Oeffnung sichtbar.
    Ich komme, hauchten ihre bleichen Lippen; sie trat heraus, mehr einem wandelnden Marmorbild gleich, als einem lebenden menschlichen Wesen. Es schien eine rätselhafte Umwandlung mit ihr vorgegangen zu sein, und daß sie eine Entscheidung getroffen hatte, war leicht erkennbar.
    Herr Ferris, sagte sie im Flüsterton und trat dicht an ihn heran, ich habe mich entschlossen, Ihnen alles zu offenbaren. Nie hätte ich geglaubt, daß ich gezwungen werden könnte, dies letzte Geheimnis, das ich so fest in meiner Brust bewahrte, zu enthüllen. Es ist so seltsamer Art, kein Mensch hätte es je entdecken können. Aber der Himmel will mir auch diese Prüfung nicht ersparen. Gottes Finger hat von Anfang an die Spur des Verbrechens gezeichnet: es gibt kein Entrinnen. Wie es Ihrem Scharfsinn gelungen ist, zu ergründen, daß ich über den Mord noch etwas weiß, was ich bisher vor aller Welt verborgen habe, verstehe ich nicht. Aber es ist die Wahrheit; der Himmel will sie ans Licht bringen, und ich kann nicht widerstehen! Sie sollen alles wissen, wenn Sie versprechen, mir offen kundzutun, welche Wirkung meine Aussage haben wird, und ob der Angeklagte verloren ist, wenn ich vor Gericht mein letztes Zeugnis gegen ihn ablege.
    Ihr Auge glühte wie im Fieber; sie starrte angsterfüllt nach ihm hin.
    Reden Sie! sagte er bestimmt, erst wenn ich weiß, was Ihre Aussage enthält, kann ich mir ein Urteil über ihre Tragweite bilden. Wo Wahrheit und Gerechtigkeit unser Zeugnis verlangen, Fräulein Dare, muß jede Nebenrücksicht schweigen.
    So hören Sie denn, sagte sie leise, sich gewaltsam zusammenraffend, jene Stunde in Professor Darlings Turmzimmer war mein Verhängnis. Ich sah das Mädchen nicht, das mich zu rufen kam, und

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