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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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»um das Pulver hineinzufüllen. Dann stopft man die Kugel und das leere Kartuschenpapier oben nach. Das Papier muss eingefettet sein – Rinder- oder Schweinefett –, damit es nicht im Lauf stecken bleibt.«
    »In Agra und Allahabad hat es auch Brände gegeben«, unterbrach Mr Toomey. »Sieht aus, als hätten sich die Unruhen ein bisschen weiter ausgebreitet als bloß über den bengalischen Paradeplatz, wie?«
    »Allahabad? Das ist doch ganz in der Nähe, oder?«, sagte Miss Bell.
    »›Ganz in der Nähe‹?«, erwiderte Captain Lewis. »Das ist, als würde man sagen, London sei ganz in der Nähe von Liverpool. Allahabad ist weit weg von hier.«
    »Barrackpur und Allahabad sind sogar noch weiter voneinander entfernt, aber die Unruhen haben sich in weniger als einer Woche von der einen zur anderen Stadt ausgebreitet«, sagte Captain Forbes. »Die Armee hätte diese Kartuschen niemals einführen dürfen. Einem Hindu oder einem Moslem zu befehlen, Rinder- oder Schweinefett mit den Lippen zu berühren – sie konnten es nicht anders denn als Beleidigung verstehen. Etwas in der Richtung habe ich damals schon gesagt. Es wäre klug, wenn wir die Augen offen hielten.«
    »Sie verwenden kein Rinderfett mehr. Haben es durch Bienenwachs oder dergleichen ersetzt. Außerdem hat man ihnen gesagt, sie sollen die Hände hernehmen, nicht die Zähne. Die sepoys haben keinen Grund zur Klage«, sagte Captain Wheeler gedehnt.
    »Tatsächlich?«, sagte Mr Hunter.
    »Tja, wir wissen alle, auf welcher Seite Sie stehen«, erwiderte Mr Vine.
    »Bei diesen Unruhen geht es um mehr als eingefettete Kartuschen«, sagte Mr Hunter. »Jeder, der sich anhört, was auf dem Basar oder in den Kasernenstuben gesagt wird, wüsste das.«
    »Eingeborenengeschwätz«, behauptete Mr Toomey.
    »Die sepoys sind unzufrieden«, sagte Mr Hunter. »Sie werden schlecht bezahlt, sie müssen gegen ihre Landsleute kämpfen. Die Heeresführung respektiert das Kastensystem nicht. Und was die Offiziere betrifft, so weiß ich nicht, was die Company sich dabei denkt, solch einen Pöbelhaufen aus Whitechapel herzuschicken, die Hindumänner von hoher Kaste herumkommandieren sollen, Männer, denen sie noch nicht einmal die Knöpfe polieren dürften.«
    Captain Wheeler und Captain Lewis sprangen auf, ganz rot im Gesicht. Doch Captain Forbes nickte düster. »Er hat recht, manche Offiziere der Company sind von der übelsten Sorte.«
    »Du lieber Gott, Forbes«, sagte Captain Lewis. »Wem haben Sie denn Gehör geschenkt?«
    »Und haben Sie gehört, was Rutherford dieser Tage treibt?« Captain Forbes schüttelte den Kopf. »Es ist ein Fehler.«
    »Genau!«, rief Mr Hunter. »Männer wie Rutherford bestehen darauf, jeden zu bekehren. Seit Monaten hat ihn keiner zu Gesicht bekommen. Und warum? Weil er ständig in den Kasernen und auf dem Paradeplatz ist und versucht, Seelen zu retten. Sieht er es denn nicht? Die Hindus wollen nicht gerettet werden. Ebenso wenig die Moslems. Sie wollen keine Christen sein. Warum lassen wir sie nicht einfach in Ruhe?«
    »O nein«, sagte Dr. Mossly. »Gottes Werk ist nie vollendet …«
    »Aber Hunter hat recht !«, rief Captain Forbes.
    »Welchen Unsinn Sie da von sich geben, Hunter!«, fuhr Captain Lewis dazwischen. »Und Sie auch, Forbes, ich weiß wirklich nicht, was in Sie gefahren ist. Die eingeborene Infanterie ist dem Sircar völlig treu ergeben. Sie kennen es nicht anders …«
    »Aber Captain Forbes aus Ihren eigenen Reihen stimmt mir zu«, fuhr Mr Hunter ihn an. »Es ist schade, dass nicht ein paar mehr so denken wie er. Das könnte Ihrem Regiment zur Ehre gereichen.« Captain Wheeler und Captain Lewis starrten den zusehends blassen Captain Forbes wütend an. »Abgesehen davon«, fuhr Mr Hunter fort, »sind es nicht nur die sepoys, nicht wahr? Sehen Sie sich doch die Nabobs an. Die sind auch nicht glücklich – man kann nicht ihre Gesetze ändern, ihnen ihr Land und ihre Steuern wegnehmen und erwarten, dass sie noch darüber erfreut sind.« Er schüttelte den Kopf. Wollte denn niemand auf ihn hören? Sah niemand außer ihm, was sich abspielte? »Die eingeborene Infanterie könnte das ganze Land binnen zwei Minuten entzünden, aber Anson und seinesgleichen unten in Kalkutta sind zu blind und ignorant, zu arrogant, um den Ärger zu sehen, der sich da zusammenbraut.«
    »Ärger?«, flüsterte Miss Bell. »Ist es denn ernst?«
    »Nein!«, riefen Captain Lewis und Captain Wheeler gemeinsam. Captain Forbes trat unbehaglich von einem Bein auf

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