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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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gesagt, sie solle nach Hause zurückkehren, um ihrer Gesundheit willen!«, rief der Friedensrichter.
    »Es ist eine Möglichkeit, ja. Doch nur, wenn meine Bitte kein Gehör findet. Und nur, wenn sie es wünscht.«
    »Ich bin mir sicher, dass sie kein Gehör finden wird«, meinte Mr Vine mit Donnerstimme. »Sie ist sich völlig über meine Absichten im Klaren.«
    »Ich weiß, was wir tun können«, sagte Mr Hunter. »Etwas, woran Sie nicht gedacht zu haben scheinen, das die Angelegenheit jedoch mit Sicherheit lösen wird. Fragen wir sie doch, was meinen Sie? Fragen wir sie, wen sie heiraten möchte. Wird sie mit Ihnen nach England zurückkehren, Vine? Wird sie mit Ihnen im Hospital arbeiten, Dr. Mossly? Oder wird sie mit mir nach Norden reiten, und zwar als meine Frau? Warten wir ab, wie ihre Antwort lautet.« Er erhob sich. Er musste nicht in den Spiegel über dem Kamin blicken, um zu sehen, wie sehr sein dunkelhäutiges attraktives Aussehen und sein großer, muskulöser Körper diese beiden Männer in den Schatten stellte, der eine dick und blass, der andere dünn und gierig. »Harshad? Harshad! Sagen Sie Mrs Fraser, dass wir sie erwarten. Sagen Sie ihr, Mr Hunter sei hier. Mit Mr Vine und Dr. Mossly. Sagen Sie ihr, sie soll sich nicht länger in ihrem Zimmer verstecken, sondern sofort herkommen. Wir müssen sie etwas Wichtiges fragen.«



1
    Mr Talbot kam den Hauptkorridor des Großen Hauses entlanggestürmt, das Auge eines ausgestopften Bibers glitzerte hungrig im Schein seiner Kerze, als er vorüberging. In seiner Eile stolperte er über ein unbemerktes Hindernis, schlug sich den Oberschenkel an einer Schauvitrine voller Seefahrtsinstrumente an und schürfte sich die Fingerknöchel an einem Modell des Hafens der Insel Wight auf, das vollständig aus Meeresmuscheln bestand. Er verfluchte seine häusliche Sparsamkeit, nun, da die mangelnde Beleuchtung im Haus ihm Unannehmlichkeiten bereitete. War er schon an der Treppe vorübergekommen? Da ihm die überfüllte Dunkelheit die Orientierung raubte und sein Weg lediglich durch den schwachen Schein einer Kerze erhellt wurde, konnte er es nicht mit Sicherheit sagen. Mr Talbot fluchte erneut und ging denselben Weg zurück.
    Endlich fand er eine Treppe. Das dicke Glasgesicht eines Tauchhelms aus Messing blinzelte ihm wissend zu. Rasch erklomm er die Stufen, das Gesicht aschgrau, die Wangen wie ein Blasebalg pustend. Alices Zimmer befand sich irgendwo hier oben, auch wenn er keine Ahnung hatte, welche Tür die ihre war. Er schlich weiter, seine massige Gestalt eigenartig gebückt und auf Zehenspitzen balancierend. Vor jeder Tür blieb er stehen und lauschte. Der gesamte Flur wurde von den weiblichen Mitgliedern seiner Familie bevölkert (seine eigenen Gemächer hatte er vor Jahren auf die andere Seite des Großen Hauses verlegt und damit die männliche Abgeschiedenheit in einem entfernten Flügel der Gesellschaft seiner betagten Verwandten vorgezogen), und er hegte nicht den Wunsch, im Zimmer seiner Mutter oder, noch schlimmer, seiner Tante Lambert zu landen. Doch es nutzte nichts. Er hatte keine Ahnung, hinter welcher Tür sich seine Tochter finden ließ. Im Kerzenschein lief sein Gesicht vor Zorn puterrot an. Wie würdelos, in seinem eigenen Haus herumzuschleichen und an Türen zu lauschen!
    »Alice!«, brüllte er auf einmal. »Wo bist du? Ich weiß, dass du nicht schläfst. Alice? Alice !« Er wartete. Es raschelte, und links von ihm öffnete sich eine Tür.
     
    Alice hatte den pfeifenden Atem ihres Vaters und seine schweren Schritte in ihrem Schlafgemach gehört, obwohl er versucht hatte, sein Vorankommen im Gang der Tanten so geräuschlos wie möglich zu halten. Durch das Schlüsselloch hatte sie gesehen, wie er stehen blieb und lauschte. Jetzt warf sie sich ein Schultertuch über das rasch angezogene Nachthemd und öffnete die Tür.
    »Was ist los, Vater?«, flüsterte sie. »Du wirst noch alle aufwecken, wenn du so schreist.« Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. Selbst im schwachen Schein seiner wackelnden Kerze war ihm anzusehen, dass er wütend war – seine Haare standen ihm wie eine Schornsteinfegerbürste zu Berge, sein Gesicht war zornesrot. Sie hatte ihn seit Lilians Abreise nicht mehr derart wutentbrannt erlebt. Ihre Kopfhaut kribbelte vor Unruhe. Sie bemühte sich, gelassen zu klingen, als sie sprach.
    »Stimmt etwas nicht?« Er schien einen schweren Gegenstand in der rechten Hand zu halten, doch sie konnte nicht ganz erkennen, worum es sich

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