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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Sammlung in gebundenen Büchern zur Schau stellen. Ich kann mich nicht weigern.« Er griff erneut nach ihrer Hand. »Ich habe kein Geld, um für eine Ehefrau zu sorgen, und muss meinen Lebensunterhalt und Ihren verdienen.«
    Doch Alice schien ihm nicht zuzuhören. »Natürlich«, sagte sie. »Wann sollen wir abreisen?«
    »Nachdem ich meinen Auftrag hier erledigt habe. Sobald Ihr Vater mich bezahlt.«
     
    Am folgenden Morgen traf ein Päckchen aus Kushpur ein. Alice konnte kaum den Blick davon abwenden, während sie schlückchenweise ihren Tee trank, doch sie sagte nichts, als ihr Vater das Frühstückszimmer betrat. Er hatte sorgfältig nach Korrespondenz aus Indien Ausschau gehalten, ob sie nun Lilians Handschrift aufwies oder auch nicht. Mehr als einmal hatte er mit einem aufgerissenen Kuvert vor ihrer Nase herumgewedelt, bevor er es ins Feuer warf. War es möglich, dass er ein Päckchen übersah? Sie wartete schweigend, den Blick jetzt unverwandt auf den unberührten Teller vor sich gerichtet.
    Just an diesem Morgen war jedoch ein Trupp Arbeiter aus dem Dorf eingetroffen, der eine Grube im Park vor dem Haus ausheben sollte. Diese Grube sollte als Schmelztiegel für Mr Talbots künstlichen Vulkan dienen, und die Männer waren bereits im Hof bei den Stallungen hinter dem Haus versammelt und warteten auf seine Anweisungen. Am vergangenen Nachmittag waren anderthalb Tonnen sublimierter Schwefel und eine ähnliche Menge Eisenspäne eingetroffen und wurden jetzt im Waschhaus in der Nähe des Küchentrakts aufbewahrt. Dass seine Pläne Gestalt annahmen, versetzte Mr Talbot derart in Aufregung, dass ihm das an Alice adressierte Päckchen, das inmitten seiner Post auf der Anrichte im Frühstückszimmer lag, gar nicht auffiel. Ja, ein Grund, weshalb Mr Talbot es übersah, war, dass es eigentlich gar kein Päckchen war, sondern eine Röhre, die an die Rückwand der Anrichte gerollt war und sich nicht direkt in seinem Blickfeld befand – zumal er in Eile war und sich noch nicht einmal zum Frühstücken hinsetzte. Alice wagte kaum zu atmen, als ihr Vater ins Frühstückszimmer geschritten kam, seine Post ergriff und sofort wieder ging, um die Zerstörung des Parks draußen zu überwachen.
    »Cattermole trifft heute Vormittag ein!«, brüllte er über seine Schulter zurück. »Alice, sorg dafür, dass seine Gemächer fertig sind. Und du könntest mich im Laufe des Nachmittags in meinem Arbeitszimmer aufsuchen. Ich muss dir etwas erklären.« Ohne eine Antwort abzuwarten, war er verschwunden.
    Alice griff nach dem Päckchen, sobald sie hörte, wie die Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters zugeknallt wurde. Inmitten ihrer Tanten, die einen flüsternden Geleitschutz bildeten, trug sie es fort in das Heiligtum des Treibhauses.
    Die Tanten drängten sich um Alice, als sie das röhrenförmige Päckchen aufmachte. Es bestand aus dicker Pappe, die zusammengerollt, mit einer Art Leinwand umhüllt und an beiden Enden mit Wachs versiegelt worden war. Dieses sorgsam umhüllte Päckchen war dann in braunes Packpapier eingeschlagen und fest verschnürt worden. Lilian war offensichtlich entschlossen gewesen, was immer sich darin befand, sicher und trocken zu verwahren.
    Da Alice den Inhalt nicht beschädigen wollte, kratzte sie erfolglos mit den Fingernägeln an den Wachssiegeln herum. Die Tanten kamen zentimeterweise näher. Alice hörte Tante Pendletons Korsett knarren, als diese sich vorbeugte.
    »Tretet zurück!«, rief Alice und griff nach ihrem kleinen Gartenmesser.
    Das Messer schnitt sofort durch Wachs, Leinwand, Bindfaden und Papier. Alice riss die Verpackung auf und spähte in die Röhre. Erst schien sie leer zu sein. Dann erkannte Alice, dass der Inhalt fest zusammengerollt gegen die Innenseite drückte. Sie steckte Finger und Daumen hinein und zog langsam ein großes, dickes Blatt Papier ans Licht. Noch bevor es aufgerollt war, wusste sie, worum es sich handelte.
    »Es ist ein Gemälde«, sagte Tante Statham rasch. »Wahrscheinlich ein Aquarell. Aquarelle hat Lilian immer am liebsten gehabt.«
    Mit zitternden Händen entrollte Alice das Papier. Tante Statham hatte recht. Es war ein Gemälde. Ja, es waren vier verschiedene Gemälde, da das Papier in Viertel aufgeteilt war, von denen jedes eine von Lilians typisch detaillierten Pflanzenillustrationen aufwies. Eine zeigte kleine rosafarbene und weiße Blümchen an langen, dünnen Stängeln, eine andere eine sich windende Ranke voll winziger Blätter mit kleinen, blassen,

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