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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Reisepläne bis nach dem Monsun außer Kraft waren, ließ er sich in ihre Gemeinschaft ziehen. Trotz Lilians anfänglich feindseliger Begrüßung schien sie offensichtlich froh zu sein, die Bekanntschaft zu erneuern. Und warum auch nicht? Schließlich war er bei Weitem der größte und attraktivste Mann der ganzen Kolonie, wie auch der interessanteste – es sei denn, man interessierte sich für Salzberichte, Grundsteuer oder die Bekehrung der Eingeborenen, und er konnte sich schwerlich vorstellen, dass Lilian sich auch nur im Geringsten für eines dieser Themen oder deren Verfechter erwärmen konnte. Er fragte sich, ob sie sich entsann, wie er ihr zum ersten Mal einen Juckbohnensamen geschenkt hatte. Das war mittlerweile lange her. Natürlich hatte er ihr nur zu gern erklärt, dass die Juckbohne ein Aphrodisiakum sei, dass man sie in Indien gern zu sich nähme, um die Fleischeslust anzuregen. Nun, er hatte ihr direkt vor der Nase ihres Gatten einen Juckbohnensamen überreicht. Jetzt musste er nur noch Lilians Reaktion abwarten.
     
    Mrs Birchwoode verabscheute Indien. Vielleicht war Kushpur das Einzige, was sie noch mehr verabscheute als Indien selbst, und sie beklagte ständig den Umstand, dass sie im Landesinnern in einem Vorposten der Company festsaß, der wohl zu den am meisten vernachlässigten und gesellschaftlich unfruchtbarsten gehörte. Warum ihr Ehemann nicht darum ersuchen könne, an einen anderen Ort versetzt zu werden, seufzte sie jedem vor, der ihr Gehör schenkte, begreife sie einfach nicht. Und die arme Fanny ging schnell auf die siebzehn zu und würde ihren Liebreiz in dieser schrecklichen Hitze einbüßen, wenn sie nicht aufpasste, und dann würde sie nie jemand heiraten.
    So kam es, dass Mrs Birchwoode Mr Hunter bei dessen Ankunft als möglichen Heiratskandidaten erwogen hatte. Der Mann besaß gewiss das notwendige gute Aussehen und die entsprechende Haltung. Er verfügte zudem über Charme und Manieren, was auch immer Mr Vine sagte. Und dennoch, all dieses Herumgewandere durch die Gegend, das Erklettern von Bergen und Schlafen in Zelten, bloß um an eine Handvoll Grünzeug zu gelangen? Mrs Birchwoode lenkte den Suchscheinwerfer ihres matrimonialen Blickes in eine andere Richtung. Vielleicht würde es einer dieser schneidigen Captains aus der Kaserne tun? Doch Fanny war schüchtern und linkisch und benötigte Ermunterung.
    Mrs Birchwoode beschloss, eine Soiree zu veranstalten.
    »Vielleicht ein paar Kartenspiele – Whist oder Bakkarat. Auf jeden Fall Musik. Ich selbst am Klavier, auch wenn Fanny mir bei Weitem überlegen ist und obendrein eine ausgezeichnete Sängerin. Etwas Punsch. Etwas Tanz, ganz ohne Zweifel.«
    Sie lud ihre Lieblinge ein und so viele junge Männer, wie ihr nur einfielen.
     
    Bei Mr Hunters Ankunft war der Raum bereits voll. Die punkahs an der Decke bewegten sich, doch bei so vielen Leuten in einem derart kleinen Zimmer war ihre Wirkung kaum wahrnehmbar. Mr Hunter sah sich um und musterte die Gesichter der Tanzenden. Mrs Birchwoode bevorzugte rote Einrichtungsgegenstände und Wandbehänge, und vor seinem geistigen Auge erschien eine Illustration aus Dantes Inferno , die er als Junge gesehen hatte – die Hitze, die karmesinrote Ausstattung, die einherstolzierenden Gestalten …
    »Mr Hunter!«, rief eine Stimme. Seine Laune verfinsterte sich. Es war seine Gastgeberin. Sie winkte ihn heran. »Mein lieber Mr Hunter, ich bin ja so froh, dass Sie kommen konnten. Ich frage mich, ob Sie wohl so freundlich wären, einen Disput zwischen mir und Captain Lewis beizulegen. Der Captain erzählt mir gerade, die Regionen Sikkim und Oudh seien noch nicht Teil des Gebiets der Company. Ich sagte ihm, dass das einfach nicht stimme, dass Sie an diesen beiden Orten gewesen seien und dass ein Engländer offensichtlich durch ganz Indien reisen könne und überall willkommen sei.«
    Mr Hunter hörte kaum zu. Sein Blick war auf Lilian gerichtet. Wie gewöhnlich war sie ganz in Schwarz gekleidet. Doch ihre Haare glänzten, ihre Augen waren so klar wie das Meer, und ihre Haut hob sich strahlend von ihrer dunklen Kleidung ab. Sie musste sich nicht in Schale werfen, um ihm den Atem zu rauben. Mrs Birchwoode hingegen trug eine bauschige Kreation aus smaragdgrün schillernder Seide mit heftig kontrastierenden Punkten aus gelbem Samt. Um ihre gewaltigen Schultern hatte sie ein Tuch aus irgendeinem gelbgrünen, transparenten Stoff drapiert. Wie seltsam sie aussahen, während sie so nebeneinander dasaßen

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