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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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sagte Alice. »Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, ihn mir richtig anzusehen. Vielleicht ist es nur ein Knick im Papier.« Sie sah sich das Kuvert genau an. Es war klein, der aus einem Blatt bestehende Brief, der sich darin befunden hatte, war wieder und wieder gefaltet worden. Doch eine genauere Untersuchung offenbarte, dass die Vorderseite mit Pappe verstärkt war, die sich teilweise gewölbt und von dem Kuvert gelöst hatte. Alice zupfte mit einem Fingernagel daran herum, und die Ecke hob sich noch weiter. »Ich glaube, es ist eine Fotografie«, sagte sie. »Oder eine Art Karte. Sie scheint festzustecken.«
    »Ein verborgenes Bild«, hauchte Tante Statham. »Ist es ein Bild von Lilian?«
    »Edwin ist so mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, dass er anscheinend seine Zensorenpflichten vernachlässigt«, murmelte Tante Lambert, als sich die Karte unter Alices Fingern löste.
    Mrs Talbot die Ältere griff nach dem leeren Kuvert und musterte es aus rot geränderten Augen. »Warum ist die Schrift so verblasst und das Papier so zerknittert? Oh, meine arme liebe Lilian! Gefangen in einem fremden und barbarischen Land mit diesem wahnsinnigen John Knox. Ja, es würde mich nicht überraschen, wenn es die Tränen des armen Kindes gewesen sind, die dazu geführt haben, dass die Tinte verlaufen ist.«
    »Aber nicht doch«, sagte Tante Pendleton und hielt sich ein Taschentuch an die Lippen.
    »Lies den Brief!«, riefen Tante Statham und Tante Lambert.
    Alice betrachtete die Fotografie mit zusammengekniffenen Augen. Sie hatte Lilian am Tag ihrer Abreise unter dem Pfirsichbaum stehend fotografiert, einen Korb voll seiner Früchte zu ihren Füßen. Alices Augen waren so wund vom Weinen gewesen, dass sie es kaum geschafft hatte, durch die Linse zu sehen. Vor ihr, vor der Kamera, hatte Lilian ebenfalls geweint, und die Tränen waren ihr die Wangen hinabgeströmt und auf die flaumige Schale der Pfirsiche getropft. Später war Alice, außer sich vor Einsamkeit, an den Ort zurückgekehrt, an dem sie jene letzten Augenblicke allein verbracht hatten. Dort, in dem Korb mit den Pfirsi chen, hatte sie zwei Tränen gefunden, in einer samtenen Spalte aufgefangen, glitzernd wie Diamanten.
    Alice hob jenes letzte Porträt – eine künstliche Erinnerung, die mithilfe von Äther und Schießbaumwolle fixiert war – in der Tasche ihres Kleides auf. Zwar benötigte sie es nicht, um sich Lilian ins Gedächtnis zu rufen, doch sie sah es sich dennoch so häufig an, dass die Karte schon bald verschlissen und abgenutzt gewesen war.
    Jetzt starrte Alice hoffnungsvoll das Sepiabildnis an, das Lilian aus Indien geschickt hatte. Wie sie sich danach sehnte, das Gesicht ihrer Schwester wiederzusehen!
    Doch Lilian war nicht auf der Fotografie zu erkennen. Stattdessen zeigte sie eine Männergruppe, die sich um einen toten Tiger versammelt hatte. Der Mann in der Mitte, ein relativ hoch gewachsener, dünner Kerl, hatte seinen Stiefel auf den Brustkorb des Tigers gestellt, das entsicherte Gewehr über dem Arm. Alice musterte die Gesichter der Gestalten links und rechts von ihm, erkannte aber niemanden wieder.
    »Es ist eine Tigerjagd«, sagte sie. »Das ist alles. Eine Gruppe Männer mit Gewehren, die neben einem toten Tier steht. Ich habe keine Ahnung, weshalb Lilian solch ein Bild schickt. Und warum sollte sie sich die Mühe machen, es auf diese Weise zu verbergen, wenn sonst nichts darauf zu sehen ist? Ich begreife es nicht.«
    »Vielleicht findet sich eine Erklärung in dem Brief«, schlug Tante Lambert vor.
    »Aber Lilian wüsste doch, dass Vater ihn lesen würde«, überlegte Alice. »Wenn sie das Bild in dem Brief erläutern würde, wäre es sinnlos, es zu verstecken.« Sie besah sich erneut die Fotografie. Sie war klein, eine Kalotypie von der Größe einer Achtelplatte und von daher nicht größer als eine Visitenkarte. Es fiel schwer, die Männer darauf voneinander zu unterscheiden, da ihre Gesichter teilweise von den Tropenhelmen überschattet waren, die ein paar von ihnen trugen. Alice kniff die Augen zusammen und hielt die Fotografie dicht vor ihre Nasenspitze. Der Mann ganz links außen von der Gruppe kam ihr bekannt vor, doch seine obere Gesichtshälfte war von seinem Hut überschattet, und sie konnte sich nicht sicher sein.
    »Lass mich mal sehen, Liebes«, sagte Tante Statham.
    »Alice!«, kreischte Tante Lambert, »wirst du nun diesen Brief vorlesen?«
    Alice reichte Tante Statham die Fotografie und widmete sich dem enttäuschend

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