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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Teile, indem die Damen über die Unannehmlichkeiten einer Reise nach Osten sprachen, wohingegen die Männer die absehbaren Schwierigkeiten einer Exkursion nach Westen diskutierten. Lilian, die von beiden Unterhaltungen ausgeschlossen war, griff nach ihrem Skizzenblock und entfernte sich in Richtung der Bäume. Als niemand hersah, setzte sie sich ihren Tropenhelm auf und verschwand.
    Eine halbe Stunde später bemerkte niemand das Erscheinen des Tigers am Rand der Lichtung. Zumindest nicht, bevor ein Träger einen spitzen Schrei ausstieß und die Champagnerflasche fallen ließ, die er auf Mrs Ravelstons Anweisung hin ausgepackt hatte.
    Augenblicklich wurde aus dem Picknickplatz ein Tollhaus. Die Dienstboten, die sich diskret um das Auffüllen der Teller der Europäer gekümmert hatten, flohen unter Geschrei in sämtliche Richtungen. Die Damen schrien und klammerten sich aneinander, während sie sich umständlich erhoben, um den Einheimischen von der Lichtung zu folgen. Als Mrs Toomey endlich stand, warf sie sich in die Arme von Mrs Birchwoode, doch Mrs Birchwoode war ängstlich darauf bedacht, sich aus dem Visier des Tieres zu entfernen. Sie schubste Mrs Toomey auf den wartenden Tiger zu, diese trat wiederum in die Auswahl an kaltem Aufschnitt, die die Träger ausgebreitet hatten. Mrs Toomey kreischte erneut auf und fuchtelte wild mit den Armen in dem Bemühen, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ihr Schuh rutschte auf den Überresten von Mr Ravelstons Schinken- und Käsemahlzeit aus, und sie stürzte auf das Picknick, wobei sie wie ein Kreisel inmitten der hastig zurückgelassenen Teller herumwirbelte.
    Mrs Ravelston lief zuerst zu Mr Vine, dann zu Selwyn und zurück zu Mr Vine – die beide vor Angst wie angewurzelt zu sein schienen – und schnatterte dabei unentwegt mit schriller Stimme vor sich hin.
    Mrs Birchwoode, die nun an Mrs Toomeys Arm zerrte und versuchte, sie aus den Trümmern der Servierplatten zu ziehen, ergriff mit der freien Hand einen Sonnenschirm und stieß damit wie mit einem Degen in Richtung des Tigers. »Sch!«, rief sie. »Lauf schon. Weg mit dir. Sch, sag ich.«
    »Alle zusammenbleiben!«, brüllte Mr Vine endlich. »Fraser, Sie sind am nächsten dran, erschießen Sie das Vieh.«
    »Ich kann nicht!«, rief Selwyn, der ängstlich und mit ungeschickten Fingern an seinem Gewehr herumfummelte. »Ich weiß nicht, wie es funktioniert.«
    »Zielen Sie einfach, und drücken Sie ab, Mann.«
    Doch Selwyn hatte die Waffe fallen lassen und suchte im Gras danach. Der Tiger senkte die Vorderbeine, und seine Schnauze schnellte vorwärts. Hinter ihm verursachten die einheimischen Träger mit Rufen, Schreien und klappernden Stöcken einen furchterregenden Lärm, während sie näher kamen. Der Tiger zögerte, als wäge er die Alternativen ab, entweder den Weg zurückzugehen, den er gekommen war und sich den Trägern zu stellen, oder vorwärts durch die Überreste des Picknicks zu springen.
    »Er setzt zum Sprung an!«, schrie Selwyn.
    »Erschießen Sie ihn!«, brüllte Mr Vine.
    Selwyn kauerte halb inmitten des Scherbenhaufens aus zerschlagenem Geschirr, seine Knie rutschten in zerlaufenem Aspik aus, seine Hände zitterten so heftig, dass er kaum das Gewehr an die Schulter brachte. »Rutherford«, rief er matt. Doch Mr Rutherford war mit den Trägern verschwunden und weit und breit nicht zu sehen.
    Selwyn zielte. Donnernd hallte ein Schuss über die Lichtung. Die Schreie der Damen verstummten abrupt, und sämtliche Blicke richteten sich auf den Tiger. Das Tier sah kurzzeitig nach oben, als fragte es sich, wo der Schuss eingeschlagen war und weshalb alle zu schreien aufgehört hatten. Hinter ihm erhoben sich besorgte Stimmen. Da sprang der Tiger los.
    Selwyn ließ das Gewehr fallen und ging in die Knie. Plötzlich donnerte ein weiterer Gewehrschuss über den Picknickplatz. Der Tiger, der sich bereits in der Luft befand, traf Selwyn wie ein Sack nasser Sand. Er schmetterte ihn zu Boden, die Pfoten zu beiden Seiten seines Kopfes, und bedeckte ihn vollständig mit Körper und Hinterbeinen.
    Außer Atem und unfähig, Luft zu holen oder sich zu bewegen, lag Selwyn unter dem Tierkadaver, mit starrem Blick, den Mund offen, die Kiefer des Tigers Zentimeter von seinem Gesicht entfernt.
    »Es ist zu spät!«, schrie Mrs Ravelston. »Er ist tot.«
    »Holen Sie das Tier von ihm herunter!«, rief Captain Forbes, der mit den anderen Offizieren rechtzeitig erschienen war, um zu sehen, wie Lilian aus dem Buschwerk hinter

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