Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo

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lassen«, fuhr sie fort. »Selbst in der akutesten körperlichen Not. Besonders während der Entbindung oder einem anderen Frauenleiden.«
    »Glauben Sie mir, meine Liebe«, unterbrach Mrs Birchwoode sie, »wenn man sich mitten in den Geburtswehen befindet, will man die beruhigende Gewissheit, die einem ein fachkundiger Arzt vermittelt. Und natürlich sind Ärzte Männer.« Sie unterdrückte ein Gähnen, sodass Lilian sich fragte, wie sie überhaupt je die Energie zur Niederkunft aufgebracht hatte. »Wenn Sie je ein Kind zur Welt gebracht hätten, meine Liebe, würden Sie das verstehen.« Die verheirateten Frauen um den Tisch, deren überlebende Kinder zumeist zu Hause in England die Strenge einer anständigen Schulausbildung genossen, nickten weise.
    Lilians Gesicht glühte. »Aber wie kann ein Mann bloß mehr über die Niederkunft wissen als eine Frau?«, rief sie. »Wie kann er von ihren Schmerzen und ihrem Leid wissen? Ihren Gefühlen für ihr ungeborenes Kind? Gewiss hätte doch ein weiblicher Arzt mehr Verständnis für derlei Dinge als jeglicher Mann. Sein Wissen über Physiologie und Anatomie ist schön und gut, aber es geht doch ganz genauso um Mitgefühl und Einfühlungsvermögen wie um die Mechanik des Vorgangs an sich.«
    Die Männer am Tisch scharrten unbehaglich mit den Füßen. Mr Hunter, der die ganze Zeit geschwiegen hatte, starrte Lilian verblüfft an.
    Einen Augenblick sagte niemand etwas. Dann räusperte sich Miss Bell. »Ganz recht«, murmelte sie. Sie lächelte Lilian nervös zu. »Mrs Fraser würde feststellen, dass sie mit solchen Ansichten zu Hause nicht allein wäre. Es wird reichlich davon gesprochen, zumindest in London.« Sie holte tief Luft und fügte tapfer hinzu: »Und ich finde … ich finde, eine Dame als Arzt ist eine gute Idee.«
    »Bravo!«, rief Captain Forbes. Er klatschte in die Hände. »Mrs Fraser, Sie haben eine neue Fürsprecherin. Wacker gesprochen, Miss Bell. Werden Sie die Festung stürmen und Medizin studieren? Vielleicht könnten Sie sich doch einen Hosenrock zulegen. Und Mrs Fraser ebenfalls. Ein überaus praktisches Kleidungsstück, würde ich meinen. Bestimmt würde der dharzi Ihnen auf der Stelle einen nähen, wenn Sie ihm Ihre Maße geben.« Er öffnete sein Zigarettenetui und bot es über den Tisch hinweg an. »Zigarre, die Damen?«
    Lilian erwiderte seinen Blick, und sie und der Captain lachten. Eine erleichterte Miss Bell fiel ein.
    Lilian schüttelte den Kopf. »Danke, Captain Forbes. Ich ziehe die hookah vor«, sagte sie. »Aber natürlich nur nach dem Abendessen.«
    »Davon habe ich bereits gehört«, sagte Captain Forbes.

4
    Der üppige smaragdgrüne Teppich der kalten Jahreszeit hatte kaum Selwyns Grab bedeckt, da machten zwei unvorhergesehene Verehrer, Mr Vine und Dr. Mossly, ihre Absichten deutlich. Dies geschah zum größten Ärger der »Fangflotte«, die fand, Lilian habe ihre Gelegenheit zur Ehe gehabt und solle sich nun, da sie fahrlässigerweise einen Gatten eingebüßt hatte, vom Feld trollen und anderen, bedürftigeren jungen Damen Gelegenheit geben, jegliche ungebundenen Männer einzufangen.
    Mr Hunter meldete ebenfalls seine Enttäuschung an. »Sagen Sie ihnen, dass Sie keinen von ihnen heiraten können«, meinte er. Seit seiner Ankunft in Kushpur waren Monate vergangen, und immer noch hatte Lilian ihm kaum mehr als einen Kuss gestattet. Seine Arbeitgeber in England fragten sich allmählich, worauf er wartete, so lange hatte er sie nun schon mit Ausreden bezüglich des Wetters, des Terrains und der Schwierigkeit, Träger von angemessener Qualität aufzutun, hingehalten. Doch obwohl sie ihn nur eingeschränkt ermutigte, oder vielleicht gerade deswegen, konnte er sich nicht losreißen. »Sagen Sie ihnen, sie sollen aufhören, wie Hunde um Sie herumzuschnüffeln.«
    »Ich werde ihnen nichts dergleichen sagen«, meinte Lilian. »Mr Vine ist …«
    »Alt. Und langweilig. Und haben Sie vergessen, wie sehr er Sie ablehnt? Sie dürften kaum einen Fuß vor die Tür setzen, wenn Sie mit ihm verheiratet wären. Es gäbe keine Basarbesuche mehr, keine Ausritte auf Captain Forbes’ Pferd.«
    »Mr Vine handelt aus einem Sinn für Schicklichkeit heraus und ist um meine Sicherheit besorgt. Abgesehen davon gibt es da immer noch Dr. Mossly.«
    »Dieser alte Narr! Er hat doch von nichts eine Ahnung.«
    »Dr. Mossly ist ein überaus gütiger Mann«, sagte Lilian.
    »Gütig? Die Hälfte der Europäer hier liegt seinetwegen unter der Erde.«
    Lilian zuckte mit