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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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brauchte Sie, um alle in Schlaf zu versetzen. Genau so, wie er es auch am zwölften November getan hat. Ihr Lied wurde damals im Radio gespielt. Wir alle haben es gehört, wir alle schliefen ein. Doch es genügte ihm nicht, Menschen in den Schlaf zu lullen. Er konnte sogar in ihre Träume eindringen, doch auch das reichte ihm nicht. Er musste eine einzige Idee in ihre Köpfe einpflanzen, in
all unsere Köpfe:
Streicht diesen einen Tag aus dem Kalender. Und genau hier kam Ihre Tochter ins Spiel.»
    «Es war Caligari, der entdeckte, wozu sie fähig ist», sagte Miss Greenwood. «Er zeigte von Anfang an Interesse für sie. Er sagte, sie sei als Hypnotiseurin ein Naturtalent, und dass es sträflich sei, angesichts ihrer Begabung keine Anleitung zu haben. Als sie gerade erst sechs oder sieben Jahre alt war, habe ich sie einmal dabei ertappt, wie sie mich in meinen eigenen Träumen beobachtet hat – sie stand einfach nur da und schaute. Ihre Augen, Mr. Unwin. Als ich diese Augen sah, wusste ich, dass meine Tochter mir nicht mehr gehörte, mir nie mehr gehören würde. Ich hatte Angst. Und Enoch auch.»
    «Ihre Angst war jedoch nicht so groß, dass sie ihre Begabung nicht genutzt hätten.»
    Von draußen ertönte ein Geräusch: der Dampflaster der Rooks war vorgefahren. Stotternd kam er zum Stehen, und die Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen.
    Auch Miss Greenwood hörte es. Sie packte den Pistolengriff. «Ich hätte ihn davon abgehalten, wenn ich geahnt hätte, wozu er sie benutzen wollte. Deshalb bin ich jetzt hier.»
    «Und warum ist Penelope hier?», fragte Unwin. «Warum sollte sie ein Interesse daran haben, Caligaris Wanderzirkus wiederaufleben zu lassen?»
    Die alte Pistole zitterte in ihrer Hand. Unwin wusste nicht, ob das daran lag, dass seine Frage sie überrascht hatte, oder daran, dass Unwin den Vornamen ihrer Tochter kannte. «Um ihn ihrem Vater zurückzugeben», sagte sie, «oder ihm wegzunehmen.» Miss Greenwood schwankte leicht, kämpfte offenbar selbst im Stehen darum, wach zu bleiben. Die Eingangstür ging auf, und auf der Treppe waren schwere Schritte zu hören.
    Unwin blickte auf Hoffmann hinunter, sah, wie die Augen des Magiers hinter den Lidern hin und her huschten. Eine fiebrige Hitze ging von ihm aus, und Unwin glaubte, den widerlich süßen Geruch von verkohltem Popcorn wahrzunehmen. Sivart war noch immer hier drin – er saß in jenem anderen Wanderzirkus fest, dem geisterhaften Vergnügungspark, den Hoffmann in den Träumen der Stadt errichtet hatte. Was würde mit Sivart geschehen, wenn Miss Greenwood auf den Abzug drückte?
    «Cleo», sagte Unwin. «Bitte.»
    Die Tür wurde aufgerissen, und Jasper Rook platzte herein. Seine grünen Augen wirkten fiebrig unter der Krempe seines riesigen Hutes. Mit jedem Schritt schien er zu wachsen, bis sie alle miteinander in der gewaltigen schwarzen Hitze seines Schattens zusammengepfercht waren. Unwin klappte seinen Schirm auf, um sich zu schützen, doch Jasper packte den Regenschirm und schleuderte ihn beiseite, und Unwin taumelte rückwärts, landete hart auf dem Boden.
    Jasper griff mit seinen riesengroßen Händen nach ihm, bereit, ihn zu erwürgen. Sie nahmen Unwins ganzes Blickfeld ein, und er spürte, wie er im Schatten des Ungeheuersertrank, in diesem Schatten, der bodenlos war und die Farbe von Kopfweh hatte.
    Dann war plötzlich Miss Greenwood da, legte Jasper die Arme um die Schultern. Während sie ihn umarmte, hob sie ihre Lippen an sein Ohr. Jaspers Augenlider flatterten, sein Körper wurde schlaff, und er taumelte nach hinten. Miss Greenwood ließ ihn sachte zu Boden gleiten, bis er schließlich auf dem Teppich lag, den Kopf in ihren Schoß gebettet. Sie nahm ihm den Hut ab und strich ihm über die Haare, während sie ihm weiterhin Schlaf ins Ohr flüsterte.
    «Er ist müde», sagte Miss Greenwood zu Unwin. «Ich glaube, er hat schon sehr lange nicht mehr geschlafen.»
    Unwin stand auf, nahm seinen Schirm, lehnte sich dann gegen Hoffmanns Stuhl. Die Luft im Zimmer kühlte sich langsam wieder ab. «Das werde ich auch tun, sobald das hier vorüber ist.»
    Miss Greenwood sagte nichts, doch neben ihrer Erschöpfung erkannte Unwin noch etwas anderes, etwas, über das sie nicht sprechen konnte, selbst jetzt nicht. Sie hatte diese beiden Männer geliebt, und beide hatten versucht, sie zugrunde zu richten – Hoffmann, als er sie für den zwölften November büßen ließ, und Arthur, als er begann, die Festung ihrer Träume zu belagern.
Eine Art

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