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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Ordnung und eine Art Unordnung:
Miss Greenwood hatte in dem Sturm, der zwischen diesen beiden Welten tobte, sehr leiden müssen.
    Geborgen in ihrem Schoß, hatte Jasper Rook begonnen zu schnarchen.
     
    Zusammen schleppten sie den Schlafenden aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Nichts konnte Jasper wecken – weder die Treppen, gegen die er unsanft mit dem Hinterkopf schlug, als Unwin einen Moment lang seinen Grifflockerte, noch der Regen, der auf der Straße auf sein Gesicht prasselte. Mit großer Mühe schafften sie es, ihn auf die Ladefläche seines Dampflasters zu hieven. Miss Greenwood fand irgendwo ein Stück Plane aus Öltuch und legte sie über ihn. Es war kurz nach sieben Uhr, als sie Bakers Grundstück verließen.
    Miss Greenwood war mit den seltsamen Armaturen des Dampflasters wohlvertraut. Während sie den Motor mit einer Reihe von Hebeln unterhalb des riesigen Lenkrades regulierte, das Speichen wie das Steuerrad eines Schiffes hatte, behielt sie mehrere Anzeigen über dem Armaturenbrett im Auge. Hinter ihnen ächzte und zischte die Dampfmaschine.
    Schweigend schaute Unwin auf der Beifahrerseite aus dem Fenster. An einer Straßenecke schüttelte ein kleiner Junge den Arm einer Frau und schrie: «Wach auf, Mami, wach auf!» In einigen Wohnblöcken brannte Licht, und Unwin entdeckte nervöse, verwirrte Gesichter hinter den Fenstern. Einige Leute waren aufgewacht und nach Hause gegangen. Begann Hoffmanns Macht zu schwinden?
    «Es wird jetzt in Wellen kommen», sagte Miss Greenwood. «Er kann sie nicht die ganze Zeit in den Schlaf versetzen, weshalb manche eine Verschnaufpause einlegen können. Doch die meisten von ihnen werden nicht wissen, ob sie tatsächlich wach sind.»
    Im Führerhaus war es heiß, und manchmal gerieten die Nadeln der Anzeigen in den roten Bereich. Miss Greenwood fuhr südwärts, am Gebäude der Agentur vorbei und in die alte Hafenstadt hinein. Sie ließen Jasper und seinen Dampflaster vor dem
Letzten Nickerchen
stehen, wo bestimmt jemand vom Wanderzirkus auf sie stoßen würde. Um acht Uhr siebenundzwanzig betraten Unwin und Miss Greenwood gemeinsam den Friedhof.
    Unwin las die Namen auf den Grabsteinen, an denen sie vorüberkamen: Zwei-Zehen-Charlie, Theda Grünspan, Vater Jack, Ricky Klimpergeld. Der Friedhof von Saints Hill war von jeher die letzte Ruhestätte von Gangstern und Ganoven gewesen, und so ruhten hier die Verbrecher, die Diebe und Gauner vergangener Tage. Mit dem Aufstieg von Enoch Hoffmann war diese Ära zu Ende gegangen. Unwin kannte die Geschichte des Friedhofes nur aus den ältesten Fallakten der Agentur.
    «Caligari hat Hoffmann bei sich aufgenommen, als er noch ein kleiner Junge war», sagte Unwin. «Es dürfte ihm nicht leichtgefallen sein, den Mord an dem alten Mann zu planen.»
    «Sie konnten sich nie darüber einigen, wie der Zirkus geleitet werden sollte», sagte Miss Greenwood. «Ich glaube, in Caligaris Augen diente er dazu, Unruhe zu stiften – aber er ärgerte nur diejenigen, die es seiner Meinung nach verdient hätten. Er fuhr immer schon voraus in die Stadt, in der wir als Nächstes haltmachen wollten, nahm sich irgendwo ein Zimmer und ‹lotete die Dinge aus›, wie er es immer nannte. Dann tauchte er in die Träume der Menschen ein.»
    «Und was suchte er da?»
    «Das hat er nie wirklich erklärt, und es folgte auch nicht immer einem logischen Plan. Aber meistens stieß er dabei auf Leute, die etwas zu verbergen hatten. Caligari konnte skrupellos sein, wenn er sein Subjekt erst einmal ausgewählt hatte. Manchmal allerdings …» Sie hielt inne und stützte sich mit einer Hand auf einen Grabstein, um Luft zu schöpfen.
    Unwin wartete, und zum allerersten Mal, seit er sie kennengelernt hatte, lächelte Miss Greenwood. «Manchmal war der Zirkus auch einfach nur ein Zirkus.»
    Sie führte ihn durch das Tor zu einem der Mausoleen. Gemeinsam stemmten sie sich gegen die Grabplatte und schoben sie beiseite. Dahinter, dort, wo eigentlich ein Toter hätte liegen sollen, waren nur ein paar geflieste Stufen zu sehen. Doch unten brannte Licht. Miss Greenwood kletterte als Erste hinein, Unwin folgte ihr und schob die Platte hinter ihnen wieder an ihren Platz.
    Am Fuß der Treppe lag ein feuchter Bahnsteig. Wurzeln wuchsen durch die rissige und tropfende Decke. Der Achter-Zug wartete bereits im Bahnhof und seine Türen standen offen. Unwin und Miss Greenwood waren die einzigen Fahrgäste. Kaum hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt, sagte er: «Was ist mit

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