Handyman Jack - Story-Sammlung
Jacobis Stimme am anderen Ende der Leitung und hätte sich am liebsten übergeben.
»Sagen Sie es nicht«, stöhnte er.
»Tut mir leid«, sagte Jacobi. »Wir haben wieder eine.«
»Wo?«
»49. West, direkt bei …«
»Ich find es schon.« Er musste nur nach blinkenden Einsatzlichtern Ausschau halten. »Ich bin auf dem Weg. Der Weg von Monroe in die Stadt dürfte um diese Zeit nicht so lange dauern.«
»Wir haben die ganze Nacht Zeit, Lieutenant.« Auch wenn das nicht ausgesprochen wurde, klang der Tadel natürlich mit: Sie wollten ja unbedingt auf Long Island wohnen.
Martha neben ihm im Bett murmelte in die Kissen, als er auflegte.
»Doch nicht schon wieder eine?«
»Doch.«
»Oh mein Gott! Wann hört das nur auf?«
»Wenn ich den Kerl erwische.«
Ihre Hand berührte sanft seinen Arm. »Ich weiß, diese ganze Verantwortung ist nicht einfach zu schultern. Ich bin da, wenn du mich brauchst.«
»Ich weiß.« Er beugte sich zu ihr herüber und gab ihr einen Kuss. »Danke.«
Er stieg aus dem warmen Bett und verzichtete auf die Dusche. Dazu war jetzt keine Zeit. Ein frisches Hemd, der zerknitterte Anzug von gestern, eine in die Tasche gesteckte Krawatte und raus in die Winternacht.
Als sein heimeliges kleines Bauernhaus hinter ihm verschwand, fühlte Harrison sich so im Dunkeln plötzlich nackt und verletzlich. Als er über die Glen Cove Road Richtung Süden zum Long Island Expressway fuhr, wurde ihm klar, dass Martha und die Kinder alles waren, was ihn noch aufrechterhielt. Seine Familie war eine Insel der Stabilität und Vernunft in einer Welt, die dem Irrsinn anheimgefallen war.
Alles andere befand sich im Umbruch. Aus Gründen, die er selbst nicht benennen konnte, hatte er sich bereit erklärt, die Fahndung nach diesem Serienkiller zu leiten. Und jetzt hing seine berufliche Zukunft vom Erfolg dieser Operation ab.
Die Zeitungen hatten den Wahnsinnigen den »Gesichtersammler« getauft. Dieser Spitzname war so skandalträchtig, wie es sich die Klatschblätter nur wünschen konnten, aber Harrison fand ihn geschmacklos. Eine solche Bezeichnung war beschönigend und verharmloste die Verstümmelungen, die den Opfern zugefügt worden waren. Die Öffentlichkeit hatte ihn aber akzeptiert, und jetzt war er zu einem festen Begriff geworden, vor allem, weil so ausufernd über die Morde berichtet wurde.
Sechs Opfer, eines pro Woche, sechs Wochen lang, und acht Millionen Menschen in Panik. Und dann waren fast zwei Wochen vergangen ohne eine neue Bluttat.
Bis heute Nacht.
Harrison drehte sich der Magen um bei der Vorstellung, dass ihm wieder der Anblick einer dieser gesichtslosen Leichen bevorstand.
»Das reicht«, sagte Harrison und wandte den Blick vom Opfer ab.
Das rohe, abgehäutete, blutige Fleisch, die freigelegten Muskeln und Knochen waren an sich schon schlimm genug, aber diese Augen – diese nackten, lidlosen, starren Augen –, die waren das Schlimmste.
»Damit wären es sieben«, sagte Jacobi neben ihm. Der untersetzte, dunkelhaarige Sergeant mit dem wabbeligen Doppelkinn kaute lautstark und grimmig auf einem dicken Stück Kaugummi herum, als habe er damit eine persönliche Fehde auszutragen.
»Zählen kann ich auch. Irgendwas Neues?«
»Nee. Gleicher Tathergang wie zuvor – Kehle aufgeschlitzt, Geld geklaut, Gesicht abgenagt.«
Harrison schauderte. Er war als Sonderermittler nach dem dritten Mord dazugestoßen. Die ersten drei Opfer des Gesichtssammlers kannte er nur von den Fotos des Leichenbeschauers. Das war schon schlimm genug. Aber nichts im Vergleich zu einem echten Leichnam, wenn das Blut noch warm und feucht war. Dies war das vierte frische Opfer, das er zu Gesicht bekommen hatte. Man gewöhnte sich einfach nicht an diese Art der Verstümmelung, egal wie oft man damit konfrontiert wurde. Jacobi gab sich sehr lakonisch, aber Harrison spürte den Abscheu unter dem Panzer des Sergeants.
Und trotzdem …
Harrison spürte, da steckte etwas hinter diesem Schrecken. Da war Wut, eine kranke Form von Wut, und Hass in einem unvorstellbaren Ausmaß. Aber dahinter war noch etwas anderes, etwas Unerklärliches, das ihn zu diesem Fall hingezogen hatte. Was es auch war, dieses Etwas hatte ihn angesprochen und hielt ihn immer noch gefangen.
Wenn er festmachen konnte, was das war, vielleicht konnte er dann auch diesen Fall lösen und abschließen. Und damit seinen Kopf retten.
Sollte er den Fall lösen, dann würde er das ganz allein tun müssen, denn von Jacobi war nicht viel Hilfe zu erwarten
Weitere Kostenlose Bücher