Hanibal
dem Grauen, der innerhalb von zwei Tagen eine Brücke aus Schiffen und Flößen schlagen ließ – nicht über den Ticinus, sondern gleich über den großen Padus. Um wirklich Fühlung mit den zum Bündnis bereiten Kelten aufzunehmen, mußte die Kette römischer Festungen gesprengt werden, die das Land am Strom umspannte und die keltischen Stämme fesselte. Die ersten leichtbewaffneten Ligurer, angelockt von iberischem Silber und der Aussicht auf Ruhm, trafen bei den Puniern ein; die Mehrheit des Volks, das die Küsten und Berge am Sardonischen Meer bewohnte, blieb bei Rom, aber Teile der Stämme erinnerten sich ihrer alten Überlieferungen, nach denen sie vor Jahrhunderten aus dem nördlichen Libyen durch Iberien und Gallien hindurch zu ihren jetzigen Wohngegenden gezogen waren. Sie begrüßten Punier, Libyer und Numider als ferne Verwandte.
Sie brachten aber auch Nachrichten, die Hannibals Verdacht bestätigten und seine Achtung vor Cornelius Scipio noch erhöhten. Der Stratege hatte nach dem Gefecht am Ticinus angenommen, der Römer sei mit seiner Reiterei den Fußtruppen vorangeritten und werde bald mit den Legionen einen neuen Angriff unternehmen. Als der Angriff ausblieb und Kundschafter nur von verstreuten römischen Kohorten und Festungsbesatzungen berichteten, hatte Hannibal gewisse Schlüsse gezogen und mit seinen Offizieren erörtert. Die Ligurer bestätigten nun alles.
Publius Cornelius Scipio hatte am Rhodanos versucht, das punische Heer zu stellen, fand jedoch das Lager an der Stelle des Übergangs verlassen; er glaubte kaum, daß jemand es wagen konnte, die Alpen zu überqueren, noch dazu in dieser Jahreszeit, und versicherte mehrfach laut, keiner der Punier werde lebend nach Italien gelangen. Vorsichtshalber führte er dann den kleineren Teil seiner Truppen nach Ligurien zurück , vor allem Reiterei. Der größere Teil mit den meisten Schiffen war unter dem Befehl seines Bruders Gnaeus Cornelius Scipio zum ursprünglichen Ziel weitergefahren: nach Iberien.
»Wir können nicht alles haben«, sagte Hannibal, als man die Nachrichten besprach. »Sempronius hat Sizilien verlassen; Qart Hadasht ist sicher. Mir wäre lieber, wenn kein Römer nach Iberien ginge, aber…« Er schwieg, und Antigonos war mit dem unbehaglichen Gefühl in seine Decken gekrochen, daß Hannibal dem Vorstoß nach Iberien mehr Bedeutung beimaß, als er zugab.
Dann wieder Marsch, Lager, Marsch, Lager – immer am südlichen Ufer des Padus, flußabwärts, in Regen und Schnee , durch aufgeweichte schlammige Felder, über Grasflächen, die eher Sümpfen glichen. Der Frost reichte aus, um in jeder Nacht Menschen und Tiere zu töten, aber er war zu mild, um die Flüsse zu Eis und die Schlammflächen zu gangbaren Wegen zu machen.
Publius Cornelius hatte in einem kleinen Lager alle verfügbaren Truppen der weiteren Umgebung zusammengezogen, dazu keltische Krieger. Als diese ihn in einer düsteren Nacht verließen und zu Hannibal überliefen, brach der Römer wieder auf und zog weiter nach Osten, über die Trebia. Hannibal entließ die etwa zweitausendzweihundert keltischen Krieger mit Geschenken und freundlichen Reden; seinen Offizieren erklärte er, Freundschaft und Verstärkung im Frühjahr seien wichtiger als jetzt ein paar Überläufer.
Die jenseits der Trebia wohnenden keltischen Anamarer stellten wohl oder übel den Römern Vorräte, Tiere, Holz und andere Dinge zur Verfügung. Cornelius, sicher hinter den Wällen des Lagers, das vielleicht zweitausend Schritte vom Fluß entfernt war, sperrte den einzigen Weg, auf dem Hannibals Heer hätte weiterziehen können. Und den Übergang über die Trebia. Die Truppen des Tiberius Sempronius waren vor zehn Tagen ebenfalls eingetroffen. Die Römer brauchten nichts zu unternehmen; sie konnten warten.
Und nun war seit dem Morgen dieses scheußlichen Tages Hannibal unterwegs. Nicht einmal Mago wußte, was der Stratege ausgebrütet hatte. In den letzten Tagen und Nächten waren immer wieder Streiftrupps durch das Land der Anamarer gezogen, um zu plündern und zu brennen. Was verbrannt oder weggeschafft werden konnte, würde den Römern fehlen; außerdem mußten sie, um ihre Rolle als Beschützer der bündnistreuen Kelten spielen zu können, irgendwann etwas unternehmen. Wann, was, wie?
Die Ligurer und die bisher eingetroffenen Kelten, immerhin fast dreizehntausend Mann, Fußkämpfer und Reiter, machten das nicht einmal für Hasdrubal den Grauen zu ordnende Durcheinander des Lagers vollkommen.
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