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Hannahs Briefe

Hannahs Briefe

Titel: Hannahs Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronaldo Wrobel
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Lächeln, ihrer blöden Suppe. Das Schlimmste war, zu wissen, dass sie es auch noch auf ihn abgesehen hatte.
    Max warf Adam S. hinaus und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Was würde er mit Fany anfangen? Er hätte sie am liebsten in Stücke gerissen. Nur nicht voreilig handeln, sagte er sich und wusch sich das Gesicht. Es stand nicht weniger als die Beziehung zu Hannah auf dem Spiel. Natürlich machte sich Fany diesen Vorteil zunutze, um ihn mit ihrer falschen Hilfsbereitschaft zu manipulieren, gefügig zu machenund zu quälen. Also gut, es war Zeit, diese platonische Dreiecksgeschichte zu beenden. Aber wie?
    Er trank ein Glas Wasser, als es an der Tür klingelte. Wahrscheinlich war es Adam S., der ihm weiter auf den Geist gehen wollte. Oder diesmal doch besagte Frauen aus der Nachbarschaft? Vielleicht auch Mendel F. mit seinem wirren Gefasel. Max erinnerte sich an einen Satz von Napoleon Bonaparte, den er erst vor kurzem übersetzt hatte: Wirklich tapfer ist nicht der, der keine Angst kennt (der ist nur ein Narr), sondern der, der seiner Angst ins Auge sieht. Erhobenen Hauptes öffnete er die Tür. Der Anblick versetzte ihm einen Schock. Vor ihm stand weder der geballte Zorn der Praça Onze noch Adam S. oder Mendel F. Auch Hannah war es nicht. Stattdessen blickte er in ein schmachtendes Lächeln unter einem Organza-Hütchen, die Hände in Handschuhen, die Lippen dunkelrot geschminkt. Wo wollte Fany in diesem Aufzug hin? Zu einer Hochzeit, zu einer Matinee ins Theater? Von ihm aus konnte sie zur Hölle fahren! Max stand regungslos da und sah zu, wie sein Gegenüber eine Handtasche öffnete, irgendetwas brabbelte und ihm einen Zettel gab.
    Ich werde heute Abend verreisen. Bitte gib Fany Bescheid, falls von Guita schlechte Nachrichten kommen. Danke, Hannah.
    Max hielt sich an der Wand fest, um nicht umzukippen. Seine verhängnisvolle Erkenntnis: Hannah wusste, dass er für die Polizei arbeitete.
    »Ist alles in Ordnung?« Fany versuchte, ihn zu stützen.
    »Lassen Sie mich los. Sie haben ihr alles erzählt. Alles!«
    Sie hielt sich die Hand vor die Brust.
    »Was alles?«
    »Alles, Sie Flittchen! Alles!«
    Fany war entsetzt.
    »Warum sagen Sie so etwas, Senhor Kutner?«
    »Schluss mit den Lügen, Fany! Sie wissen genau, was ich nebenbei tue. Habe ich recht oder nicht?«
    »Sie haben recht, Senhor Kutner, ich weiß es.«
    »Und Sie haben ihr alles erzählt.«
    »Wem?«
    »Hannah! Verschwinden Sie, bevor ich Ihnen den Kopf abreiße, Sie Miststück!«
    »Oh, nein, nein! Um Himmels willen!« Fany fing an zu weinen. »Es ist nicht so, wie Sie denken! Ich flehe Sie an, gütiger Gott, hören Sie mir zu! Tun Sie mir nichts, ich bin unschuldig! Es ist Zeit, Ihnen die ganze Wahrheit zu sagen, Sie sollen alles erfahren! Bisher hat man Ihnen die Wahrheit verschwiegen, aber jetzt ist es an der Zeit! Um Himmels willen, hören Sie mir zu!«

Kapitel 6
    Sechs Monate später
    Die Stadtteile von Rio de Janeiro waren so unterschiedlich, dass man das Gefühl hatte, in der Straßenbahn ganze Kontinente zu durchqueren. Südlich der großen Uhr in Glória waren die Straßen zum Beispiel längst nicht so verstopft und laut wie im Zentrum, wo auch alles verdreckt war, überall Werbeschilder hingen und die Menschen es ständig eilig hatten. In Flamengo dagegen herrschte Stille in den Straßen, und die Damen zogen im Schatten der Bäume ihre stolzen Hündchen hinter sich her. Lieferwagen glitten vorbei an Villen, in denen nicht selten Botschaften und bedeutende Behörden untergebracht waren, während auf den Plätzen uniformierte Kindermädchen auf den vielversprechenden Nachwuchs aufpassten.
    Wenn Max die Palmen an der Rua Paissandu zwischen dem Palácio Guanabara und der Rua Marquês de Abrantes betrachtete, dachte er an die Kutschen, in denen Marquisen und Barone mit ihren Broschen und Tiaren vorbeigefahren waren, bevor das Automobil in die Städte einfiel und die brasilianische Monarchie sich in die Museen verkroch. Doch die schlanken Stämme hatten sich nicht der Moderne gebeugt. Keine Republikder Welt könnte ihnen ihren Stolz nehmen, das Erhabene ihrer langen Blätter, die sie wie gewaltige Flügel ausbreiteten. Ganz in der Nähe lag das Fußballstadion Campo do Fluminense mit seiner tobenden Fangemeinde. Bei jedem Tor flatterten die Vögel in Schwärmen von den Zweigen auf und vorbei an seinem Wohnzimmer, in dem Max sich gegen Ende des Tages auf dem Sessel ausruhte, während draußen die Kinder lärmten und erst nach der täglichen

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