Hannahs Briefe
aufmerksam von Ihnen.«
Max wurde den Kommentaren des Mädchens durchaus gerecht, er holte sie jedes Mal ab und brachte sie wieder nach Hause, bezahlte für sie und kaufte ihr Rosen. Manchmal betrachtete er sich in einem imaginären Spiegel, blieb an Kleinigkeiten hängen und stellte doch nur das Offensichtliche fest:
»Ich bin ein eleganter Mann. Warum habe ich das nur nicht schon früher erkannt?«
Er fing an, sich zu beobachten, Gesten abzuwägen, an seinem Auftreten zu feilen. Wenn er Schuhe reparierte,wenn er sein Hemd zuknöpfte, ja, selbst beim Übersetzen legte er Wert auf Eleganz. Natürlich konnte er sich im Alltag auch mal vergessen (selbst Könige sind nicht immer majestätisch). Aber sobald ein solcher Anfall überwunden war, stellte sich wieder die Eleganz ein, wie ein Fluss, der stets ins Meer mündet.
Eines Tages lud ihn Belinha zum achtzigsten Geburtstag ihres Großvaters ein. Max besorgte Pralinen und überschlug sich gegenüber dem Straßenbahnschaffner vor Liebenswürdigkeit. In Penha stieg er aus und überprüfte in einer Fensterscheibe sein Aussehen.
Belinha umarmte ihn und zog ihn an der Hand ins Wohnzimmer, wo die Familie ihn erwartete. Max wurde vorgestellt.
»Das ist mein Großvater, geboren in Leningrad …«
»Sankt Petersburg«, korrigierte der Alte sie.
»Oh, richtig! Da sehen Sie, Max, wie gebildet er ist und … wie soll ich sagen? Elegant.«
Max verbeugte sich höflich.
»Mama, Mama, komm her! Das ist Max Kutner. Max, das ist meine Mutter, eine talentierte Schneiderin. Sie schneidert unglaublich elegante Kleider!«
Gleich darauf:
»Onkel Boris!« Und zu Max: »Onkel Boris ist mit der Schwester meiner Mutter verheiratet. Was für ein Paar! Und so elegant.«
Kurz, Belinha fand jeden elegant, ohne Ausnahme. Selbst der Hund wedelte elegant mit dem Schwanz. Oj, dachte der Schuhmacher enttäuscht, das Mädchenist verrückt! Und so zählte das Fest zwanzig oder auch vierzig elegante Gäste. Da machte einer mehr oder weniger keinen Unterschied. Ganz unelegant suchte Max das Weite. Lebe wohl, Belinha!
Danach kam Mariana, dreißig Jahre alt, die er im Wartezimmer eines Zahnarztes kennenlernte. Mariana trug kurzes, keckes Haar, war Journalistin und schrieb für die Zeitschrift Fon-Fon . Sie war in der Welt der Kunst zu Hause und nahm Max mit in Museen und zu Ausstellungen, wo sie sich Notizen machte und Visitenkarten verteilte. Sie arrangierte Treffen und Reisen mit der Boheme von Cinelândia und Lapa. Während einer Soiree im Theater schlich sie sich in die Garderobe, um Procópio Ferreira zu interviewen, der in dem Stück Deus lhe pague einen Bettler spielte. Etwas raffinierter war der Überfall auf den Maestro Villa-Lobos in einem Billardcafé. Mariana verwickelte ihn in ein Gespräch, während er auf einer Zigarre herumkaute und den Queue über den grünen Filz schob.
Aber nicht alles war Glamour in ihrem Leben. Jahre zuvor war Mariana einem jungen Mann versprochen gewesen, der von der Gesundheitspolizei abgeholt und in ein Krankenhaus in Jacarepaguá gebracht wurde. Die Diagnose bestätigte den Verdacht der Nachbarn: Lepra. Mariana verlor Freunde und Arbeit, aber nicht die Hoffnung. An den Sonntagen winkte und rief sie über die Mauer der Leprakolonie ihrem Verlobten zu und träumte von seiner Genesung, bis eine Krankenschwester ihr so schonend wie möglich mitteilte, dass sich in der angeschlossenen Kinderstationein Drittel der Belegschaft um seine Kinder kümmerte. Die Kinder von Leprakranken stecken sich nicht bei ihren Eltern an, erklärte die Schwester, woraufhin Mariana sie um ein Schmerzmittel bat. Am nächsten Morgen hatte sie genug geweint, um nie wieder jemanden zu lieben.
Mariana und Max gingen wie erwachsene Menschen miteinander um. Sie schliefen gemeinsam in seinem Bett, und Mariana dachte sich Positionen aus, während er auf Jiddisch stöhnte. Danach hielten sie sich in den Armen, bis die Sonne aufging, ohne irgendwelche Pläne oder allzu schöne Worte. Das Hier und Jetzt zu genießen war ihrer beider Motto. Deshalb und auch aus anderen Gründen machte Max sich keine Sorgen, als sie am Telefon mit ernster Stimme verkündete:
»Wir müssen reden.«
Sie saßen auf einer Parkbank auf der Praça São Salvador.
»Es hat Spaß gemacht, du bist wirklich süß und sexy, und du hast mir Jiddisch beigebracht. Aber es ist vorbei.«
Sie sahen sich an wie Freunde, zwei Erwachsene, deren Wege sich für einen Moment der Begierde gekreuzt hatten und sich jetzt trennten. Da
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