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Hannas Entscheidung

Hannas Entscheidung

Titel: Hannas Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
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stopfte sie unter eine blaue Kappe, die keinerlei auffälliges Zeichen trug. Heute sorgte sie dafür, dass ihre Augen einen Braunton bekamen anstelle des üblichen Grüns. Sie hatte sich lachsfarbenen Lipgloss auf die Lippen geschmiert, trug eine dreiviertellange Stoffhose und halbhohe Chucks.
    Sie schrieb einen Zettel für Lisa: »Danke für das Frühstück. Bin gegen Abend wieder zurück. Such schon mal eine Schnulze raus :-)«
    Das Haus der Familie Jung lag idealerweise nur zwei Blocks von der nächsten S-Bahn-Haltestation entfernt. Sie wechselte mehrmals die Linien, bevor sie in der Innenstadt nach einem öffentlichen Telefon suchte. Lange hatte sie überlegt, wie sie Kontakt mit Marie aufnehmen konnte. Ursprünglich dachte sie, den Kellerschlüssel zu verwenden, der für sie unter einem Stein im Garten versteckt gelegen hatte. Doch durch Maries Wohnungswechsel stand diese Option nicht mehr zur Auswahl. Also musste sie versuchen, sie telefonisch zu erreichen. Die Frage war nur, wie sie über die Sekretärin zu ihrer Schwester durchdringen sollte. Ihre alte Handynummer war genauso stillgelegt wie ihr privates Festnetztelefon, und alle Versuche, ihre Nummer herauszufinden, waren gescheitert. Marie schien besser abgeschirmt zu sein als ein Politiker.
    »Medicare Zentrale. – Was kann ich für Sie tun?«
    »Guten Tag. Mein Name ist Dr. Frederike Schneider. Ich würde gerne mit Frau Ziegler sprechen.«
    »Ich verbinde.«
    »Jenny Kramer – Assistentin von Frau Ziegler. Was kann ich für Sie tun?«
    »Hallo, Frau Kramer, mein Name ist Dr. Schneider, und ich hätte gerne mit Frau Ziegler gesprochen.«
    »Worum geht es?«
    »Um ein gemeinsames Projekt in Afrika.«
    »Welches, wenn ich fragen darf?«
    »Ich denke nicht, dass Sie es kennen.«
    »Sehen Sie, Frau Dr. Schneider, Frau Ziegler ist eine viel beschäftigte Frau und ich bin über alle Projekte informiert oder weiß, woher ich die Informationen erhalte. Wenn Sie keinen Termin mit Frau Ziegler haben, dann müssen Sie mir schon ein wenig mehr Fakten nennen, damit ich Ihnen einen Termin geben kann.«
    »Einen Termin? Können Sie mich nicht einfach durchstellen?«
    Ein glockenhelles Lachen erklang. »Nein, ganz gewiss nicht. Aber Sie können mir gerne eine Telefonnummer nennen und Ihr Anliegen erklären, dann wird sich Frau Ziegler bei Ihnen melden. Oder vielleicht können wir beide die Sache klären?«
    »Okay, dann richten Sie Frau Ziegler einfach aus, dass eine Frau Dr. Frederike Schneider angerufen hat und sich gerne mit Ihr unterhalten möchte. Es geht um ein Medikament, das interessant für Sie sein dürfte.«
    »Darf ich fragen, um welches Medikament?«
    Hanna nahm förmlich das Grinsen in der Stimme von Jenny Kramer wahr.
    »Gegen HIV.«
    »In diesem Fall empfehle ich Ihnen den Kontakt zu unserer Forschungsabteilung. Herr Gebaur kann Ihnen in diesem Fall bestimmt ein kompetenterer Ansprechpartner sein als Frau Ziegler.«
    »Richten Sie es Frau Ziegler einfach aus und lassen Sie mal Ihre Chefin entscheiden, ob Sie Kontakt mit mir aufnehmen möchte oder nicht.«
    Ihr Tonfall verfehlte seine Wirkung nicht. Am anderen Ende der Leitung war es einen Moment still.
    »Und wie könnte Frau Ziegler Sie, sofern sie es in Erwägung zieht«, die Assistentin dehnte die Wörter aus und ließ damit durchblicken, dass sie davon keineswegs überzeugt war, »Sie erreichen?«
    »Bei Ihrem Vater.«
    »Sie sprechen von Armin Ziegler?«
    Hanna legte auf. Jetzt musste sie warten, ob die Assistentin Marie die Nachricht weitergab. Sie ging zur S-Bahn und machte sich auf den Weg nach Potsdam.
     
    Auf dem Friedhof fand Hanna zum Glück unter den Ecken und Winkeln eine Stelle, von wo aus sie das Grab ihres Vaters von Weitem im Auge behalten konnte. Es war ein beengendes Gefühl gewesen, den eigenen Namen auf einem Grabstein zu lesen. Eine frische weiße Rose lag auf dem Grab und sie fragte sich, wer sie dort hingelegt hatte. Ein Schock durchfuhr sie, als sie ihre Mutter auf dem Pfad zum Grab entdeckte. Sie zog sich tiefer in eine Ecke zurück, hockte sich vor einem Grab nieder, als würde sie beten. Erst ging ihre Mutter zu dem Grab, stand eine Weile davor, zupfte hier und da ein paar welke Blüten von der Bepflanzung. Schließlich setzte sie sich auf eine Bank, die nicht weit entfernt vom Grab stand. Silvia schlug ihren Kragen hoch, als der Wind auffrischte. Die Hände in den Manteltaschen verborgen, die Schultern hochgezogen, wirkte sie völlig verloren. Langsam erhob sich Hanna.

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