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Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Titel: Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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das Fleisch ihrer Arme und spricht, aber kein Ton kommt aus seinem Mund, nur sein stinkender Atem wird in der eiskalten Luft sichtbar. Mischa ver gräbt ihr Gesicht an Hannibals Brust, um von Schüsselleckers Atem wegzukommen. Blauauge sagt etwas, und jetzt singen sie, lockend. Er sieht die Axt und die Schüssel. Er stürzt sich auf Blauauge, der
    Geschmack von Blut und Bartstoppeln in seinem Mund, sie schleppen Mischa fort Sie haben die Axt und die Schüssel. Er reißt sich los und rennt ihnen hinterher, aber die Füße heben sich viel zu langsam. Vom Scheunentor aus sieht er, wie Blauauge und Schüssel lecker Mischa an den Handgelenken hochhalten, sodass ihre Füße den Boden nicht mehr berühren, und sie dreht den Kopf, um ver zweifelt über den blutigen Schnee zu ihm zurückzuschauen, und sie ruft...

    Hannibal erwachte würgend, verkrallte sich in das Ende des Traums, kniff die Augen fest zusammen und versuchte sich über den Punkt zurückzubringen, an dem er erwacht war. Er biss in den Zipfel des Kopfkissens und zwang sich, den Traum zu rekapitulieren. Wie hatten sich die Männer gegenseitig genannt? Wie lauteten ihre Namen? Wann war ihm der Ton verloren gegangen? Er konnte sich nicht erinnern, wann er verschwunden war. Er wollte wissen, wie sie sich gegenseitig nannten. Er musste den Traum zu Ende bringen.
    Hannibal begab sich in seinen Gedächtnispalast und versuchte, das Gelände zu den dunklen Schuppen zu überqueren, vorbei an Herrn Jakovs gefrorenem Hirn auf dem Schnee, aber es gelang ihm nicht. Die brennenden Kleider seiner Mutter zu sehen, seine Eltern und Berndt und Herrn Jakov, wie sie tot vor dem Jagdhaus lagen, das alles konnte er ertragen. Er konnte die Plünderer sehen, die unter ihm im Jagdhaus vorbeigingen, und Mischa neben ihm auf der Galerie. Aber über den Punkt, an dem seine Schwester strampelnd in der Luft hing und den Kopf nach ihm umdrehte, über diesen Punkt kam er nicht hinaus. Danach konnte er sich an nichts mehr erinnern
    Seine Erinnerungen setzten erst viel später wieder ein: Nachdem er mit der Kette um den Hals am Waldrand von den Soldaten gefunden worden war, fuhr er auf einem Panzer ins nächste Dorf mit. Er wollte sich erinnern. Er musste sich erinnern. Zähne in einer Abortgrube. Der Gedankenblitz kam nicht oft; er hatte zur Folge, dass er sich abrupt aufsetzte. Er sah den Gibbon im Mondlicht an. Zähne, viel kleiner als seine. Milch zähne. Nicht gefährlich. Ich muss die Stimmen hören, die von ihrem stinkenden Atem getragen werden, wie ihre Worte riechen, weiß ich. Ich muss mich an ihre Namen erinnern. Ich muss sie finden. Und das werde ich. Wie kann ich mich selbst verhören?

36

    Professor Dumas hatte eine für einen Arzt ungewöhnlich gefällige und runde Handschrift. Auf dem Zettel stand: »Hannibal, würden Sie bitte sehen, was Sie in La Santé in der Angelegenheit Louis Ferrat erreichen können?«
    Der Professor hatte einen Zeitungsausschnitt über Ferrats Prozess beigefügt, der die wichtigsten Angaben zur Person des zum Tod Verurteilten enthielt: Aus Lyon stammend, war Ferrat zur Zeit der deutschen Besatzung ein kleiner Vichy-Funktionär gewesen, ein unbedeutender Kollaborateur, der dann aber von den Deutschen verhaftet wurde, weil er Lebensmittelmarken gefälscht und verkauft hatte. Nach dem Krieg wurde er der Beteiligung an verschiedenen Kriegsverbrechen angeklagt, aber mangels Beweisen freigesprochen. Schließlich befand ihn ein französisches Gericht für schuldig, in den Jahren 1949 und 1950 aus niederen Motiven zwei Frauen ermordet zu haben. In drei Tagen sollte das Todesurteil vollstreckt werden.
    Hannibal machte sich zu Fuß auf den Weg in das Gefängnis La Santé, das sich, nur etwa fünfzehn Minuten vom medizinischen Institut entfernt, im 14. Arrondissement befindet.
    Im großen Hof des Gefängnisses, in dem bis 1939 die Hinrichtungen noch im Beisein der Öffentlichkeit stattgefunden hatten, stand ein mit Rohren beladener Lkw, und Dachdecker waren dabei, Dachrinnen und Fallrohre auszutauschen. Die Wärter am Tor kannten Hannibal vom Sehen und ließen ihn passieren. Als er sich in die Besucherliste eintrug, sah er ganz oben auf der Seite Inspektor Popils Unterschrift.
    Hannibal wusste, wohin er musste. Auf seinem Weg durch die langen hallenden Korridore des Gefängnisses hörte er schon von Weitem lautes Hämmern. Als er an dem großen leeren Raum vorbeiging, aus dem das durchdringende Geräusch kam, erhaschte er durch die offene Tür einen flüchtigen

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