Hansetochter
die sie nun erreicht hatten. »Immerhin bist du überhaupt gefragt worden. Dieses Vergnügen wird Bruno Diercksen nicht haben.«
»Er hat den Mecklenburgern anscheinend sehr viel Geld geliehen. Das ist nun wohl weg. Nicht, dass es mir leid täte um ihn. Ich trage ihm sein Falschspiel nach. Und dass er mir nach dem Leben getrachtet hat, fand ich auch nicht nett.«
Mechthild und Drudeke Diercksen sah Henrike regelmäßig beim Kirchgang, aber die beiden ignorierten sie nach Kräften, was sie leicht verschmerzen konnte.
»Wie es den beiden Frauen wohl geht? Jetzt, wo der alte Herr Diercksen im Kerker sitzt«, sagte sie.
Hartwig Vresdorp hatte im Verhör alles ausgeplaudert, um der Todesstrafe zu entgehen, und so war Diercksens Beteiligung an der Piratenverschwörung ebenso aufgeflogen wie die Anstiftung zum Mord.
»Ich habe Mitleid mit ihnen.«
Adrian führte Henrikes Hand an seinen Mund und küsste sie, eine innige Geste, die ihr Herz flattern ließ. »Das liebe ich ja so an dir, Henrike. Dass du sogar noch mit denjenigen Mitleid hast, die uns Böses wollten.«
»Nicht mit allen«, sagte sie, plötzlich düster. »Nikolas könnte ich nie verzeihen.«
Noch immer hatten sie keine Nachricht von Simon.
Der Wappenmacher, vor dessen Werkstatt sie inzwischen angelangt waren, hatte sie bemerkt und kam diensteifrig auf sie zu.
»Mein Vater, Konrad Vresdorp, hat bei Euch ein Wappen in Auftrag gegeben. Ich wollte es abholen«, sagte Henrike.
Der Mann wischte seinen Pinsel in einem Tuch ab und kratzte sich anschließend mit dem Stiel unter der Mütze.
»Vresdorp, ja? Ich dachte schon, ich bleib auch auf diesem Auftrag sitzen.«
»Kommt es denn häufig vor, dass Aufträge nicht ausgelöst werden?«, erkundigte sich Adrian, während er ein filigran gestaltetes Wappenschild zum Licht drehte.
Der Meister schnaubte. »Dauernd. Kommt bei den feinsten Familien vor. Jetzt gerade erst wieder bei diesem Ratsherrn Diercksen. Was hat der nicht alles bestellt! Und nun? Abgeholt wird nichts, bezahlt auch nicht«, sagte er, während er in seinem Lager kramte.
Er zog vorsichtig ein Schild hervor, hielt es aber so vor sich, dass nur er es sehen konnte. Henrike konnte es kaum abwarten, so neugierig war sie. Was hatte ihr Vater sich wohl für ein Wappen gewünscht? Als der Meister es umdrehte, lachte sie auf. Sie hätte es wissen müssen: ein Vogel von der Größe eines Adlers mit einem golden glänzenden Hals, geschmückt von purpurnen Federn, die auch den bläulichen Schwanz durchsetzten. Die untere Hälfte des Fabeltiers war von züngelnden Flammen bedeckt.
»Der Vogel Phoenix! Und wie farbenprächtig er ausgeführt ist!«, würdigte Adrian das Wappen.
Henrike ließ ihren Blick über das Bild wandern, Erinnerungen stiegen in ihr auf, und ihr Hals wurde eng.
»Für meinen Vater war der Phoenix immer das Zeichen der Unsterblichkeit. Er schütze vor Tod und Alter, wie der Heilige Gral im Parzival. Gleichzeitig hat Vater den Zaubervogel ausgewählt, weil er das Haus vor Feuer bewahrt, schließlich steigt er unversehrt aus den Flammen.« Bedrückt fügte sie hinzu: »Beides ist dem Phoenix nicht gelungen.«
Adrian strich ihr zart über die Wange, dann lächelte er und reichte dem Wappenmacher sein Geld. »Deshalb nehmen wir ihn jetzt ja mit, diesen Vogel, damit er endlich seine Pflicht tun kann.«
29
Bergen, Mai 1376
S imon schlug Stücke von Nacken und Schwanz des Trockenfisches ab und ließ sie zu Boden fallen, den Körper warf er in eine Tonne. Damit man besonders viel Fisch in ein Fass bekam, wurde die Ware zurechtgehauen und mittels einer Schraube eingepresst, doch auch die Sporden, die abgeschlagenen Stücke, waren in Lübeck ein beliebter Artikel. Die Packhäuser ihres Hofes waren gut gefüllt, in langen Reihen waren die ausgedörrten Fische gestapelt. Es gab vor allem Rundfische, im Stück getrocknete Kabeljaue, und die sogenannten Rotscher, die bis zum Schwanzende zerteilt auf den Trockengerüsten gehangen hatten. Wieder hatte er ein Exemplar fertig bearbeitet, das hart wie Holz war, und griff nach dem nächsten. An den Geruch hatte sich Simon längst gewöhnt, auch wenn jetzt, Ende Mai, die Sonne stärker auf das Hausdach schien und die Wärme den Fischdunst noch undurchdringlicher machte.
Simon warf Helmold einen Blick zu, und dieser verdrehte für einen Moment die Augen. Vicus war von dem Wraker, dem Fischprüfer, angefahren worden, weil er Fisch falsch sortiert hatte. Dabei hätte auch er längst gelernt haben
Weitere Kostenlose Bücher