Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler
nicht unbedingt freute, mich zu sehen. Frau Böttcher war eine Institution des Friedrichstadtpalasts, die Grande Dame der Berliner Kostümbildnerei, wenn man so will. Sie entwarf seit dreißig Jahren die Kostüme für das Ballett, hatte in ihrem Beruf also sogar noch zwanzig Jahre DDR mitgemacht und den legendären Alten Friedrichstadtpalast vor 1984 miterlebt und damit unzählige Aufführungen – ein Kessel Buntes sozusagen.
Ihr sollte nun vorübergehend dieser junge zugereiste Pompöös-Typ – also ich – vor die Nase gesetzt werden. Zwar »nur« für eine Produktion, aber dennoch kratzte das offensichtlich an ihrem Ego. Ich fand es nur logisch, dass sie mich nicht freudestrahlend und mit offenen Armen empfing. Mir wäre das an ihrer Stelle vermutlich ähnlich gegangen. Ich konnte nur hoffen, dass Frau Böttcher merken würde, dass ich ihre Arbeit respektierte. Und dass es bei meinem Engagement nur darum ging, dass ich als Couturier die Sache einfach einmal ganz anders angehen würde. Ich sollte modisch gesehen im Friedrichstadtpalast das neue Millennium einläuten.
Auch die Tänzerinnen und Tänzer benahmen sich bei unserer ersten Begegnung ziemlich unterkühlt. Sie gaben mir zwar höflich die Hand, wirkten dabei allerdings wie eine lustlose Schulklasse, die dem neuen Lehrer vorgestellt wird, der den Lieblingspauker vertritt. Innerlich holte ich tief Luft: Das würde eine Gratwanderung werden. Doch ich wäre nicht Harald Glööckler, hätte ich jetzt einen Rückzieher gemacht.
Ich tröstete mich damit, dass die Ausstattung des Hauses ein wahrer Traum war: Es gab unter dem Dach des Friedrichstadtpalasts eigene Schneiderateliers mit mehr als einem Dutzend Schneidern und Schneiderinnen, zwei Hutmacher und einen Schuhmacher.
Um mich vorzubereiten, hatte ich jede Menge Bücher über Theater- und Operninszenierungen gewälzt. Die Kostüme im Friedrichstadtpalast waren zwar phantasievoll und gut gemacht, Frau Böttcher war hier aus gutem Grund so lange und fest etabliert. Aber für meinen Geschmack waren die Kreationen zu brav, es fehlte ihnen eine gewisse Leichtigkeit – und vor allem hatten sie mir nicht genug Sex-Appeal. Mein Ziel war es, die Tänzerinnen bei der kommenden Weihnachtsrevue sexy, jung und frech wirken zu lassen – nur darum schaut man sich doch eine Girl-Reihe an. Ich wollte Kostüme machen, die viel Bein und Brust zeigten. Ein bisschen wie bei einer frivolen Show im Moulin Rouge oder dem Lido in Paris.
Als mir die Höhe des Budgets genannt wurde, sah ich mich direkt mit der nächsten Herausforderung konfrontiert. Die Summe war zwar sicher deutlich höher als das, was ein durchschnittliches Provinztheater zur Verfügung hatte, aber für das, was mir vorschwebte, und die schiere Menge der Kostüme war der Betrag doch eher bescheiden. Doch zum Glück war ich ja im Laufe der Jahre Experte darin geworden, aus Stroh Gold zu spinnen und mit geringen Mitteln das Bestmögliche auf die Beine zu stellen.
Eine meiner ersten Aufgaben war das Entwerfen eines Schach-Balletts, das aus engen schwarzen und weißen Kostümen bestand. Mir war sofort klar, dass so etwas auf jeden Fall aus reiner Seide geschneidert werden musste. Wenn man bei glatt anliegenden Stoffen Synthetik benutzt, sieht das im Scheinwerferlicht billig aus, weil es einen ganz anderen Schimmer hat. Außerdem reißt Polyester bei Belastung in den Nähten – und belastet werden sie beim Tanzen zwangsläufig. Hier konnte ich also auf keinen Fall sparen. Hinzu kamen die aufwendigen Kopfbedeckungen, die so ein personifiziertes Schachspiel mit sich bringt, wie Pferdeköpfe, Kronen und Turmspitzen.
Bei einer Ballszene mit ausladenden Roben konnte ich dagegen auf Polyester-Chiffon ausweichen. Ich überlegte mir, die Röcke zu plissieren. Das bringt nicht nur eine wunderschöne Struktur, sondern auf diese Weise würde das Licht sich so brechen, dass man nicht mehr erkennen konnte, dass es sich um einen günstigen Stoff handelte. Außerdem sind voluminöse Röcke nicht solchen mechanischen Belastungen ausgesetzt wie Kostüme, die wie Trikots direkt auf dem Körper getragen werden.
»Waren die Dinger hier noch Geschenke von Fidel Castro an Erich Honecker?«, will ich wissen.
Ich halte der Mitarbeiterin, die den Kostümfundus betreut, mit spitzen Fingern eines der erdbraunen Strumpfhosen-Ungetüme vor die Nase.
Doch die schaut mich nur irritiert an und fragt ihrerseits: »Ist etwas nicht in Ordnung damit?«
»Das kommt auf die Umstände an«,
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