Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
heulte. Ich trank den Tee aus, spülte die Tasse und stellte sie sorgfältig wieder zurück in den Schrank. Morrell würde sich ziemlich ärgern, wenn er aus Afghanistan nach Hause kam und schmutziges Geschirr in der Küche fand.
Sehnsüchtig schaute ich das Telefon an. Aber man wusste ja nie, wer mithörte, wenn man telefonierte. Vielleicht konnte ich mit Karen Lennon telefonieren, ohne dass jemand den Anruf erfasste. Aber wenn es um die Sicherheit meines Verstecks ging, durfte ich kein Risiko eingehen.
Um diese Tageszeit würde Karen Lennon nicht mehr im Lionsgate Manor sein. Ich fuhr zur Howard Street, der belebten Grenze zwischen dem gesetzten Evanston und dem mexikanisch-russisch-pakistanischen Bezirk. An der Hochbahn-Station fand ich tatsächlich ein funktionierendes öffentliches Telefon. Das Kabel war nicht abgerissen, und als ich den Hörer abnahm, forderte eine Stimme mich auf, fünfzig Cent in den Schlitz einzuwerfen. Ich steckte den Akku gerade lange genug in mein Handy, um Karen Lennons Telefonnummer nachzusehen, dann konnte ich anrufen.
»Gott sei Dank!«, rief sie. »Ich habe Sie schon seit gestern Abend zu erreichen versucht, Vic. Heute Morgen hab ich dann Max angerufen, und der wusste Bescheid. Das mit Ihrer Cousine tut mir so leid! Aber Miss Claudia ist so schwach, dass ich Sorge hatte, sie stirbt womöglich, ehe Sie wieder auftauchen.«
»Wenn ich jetzt zum Lionsgate Manor komme, kann ich sie dann sehen?«
»Ja, wenn ich dabei bin, sollte das gehen. Ich bin jetzt zu Hause, aber ich kann in fünfundzwanzig Minuten dort sein. Wir treffen uns am Haupteingang, ja?«
»Nein, das geht nicht. Ich weiß zwar nicht, wie lange ich mich noch verstecken kann, aber es darf niemand wissen, wo ich mich befinde. Ich komme direkt zu Miss Claudias Zimmer.«
»Wie wollen Sie das machen? Es gibt einen Nachtportier!«
»Sagen Sie mir nur die Zimmernummer, ich schaffe das schon!«
Ich fuhr die Straße hinunter, bis ich zu einem Geschäft kam, das Arbeitsanzüge verkaufte. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wenn man in einer öffentlichen Einrichtung wie einem Krankenhaus unsichtbar werden möchte. Die beste ist ohne Zweifel eine Verkleidung als Putzfrau. Wenn man in einer Schwesternuniform auftritt, denken die anderen Schwestern alle, sie müssten dich kennen und schauen dir ins Gesicht. Für eine Putzfrau dagegen, am unteren Ende der Hierarchie, interessiert sich kein Mensch, und jeder versucht sie zu übersehen. Ich kaufte einen schlabbrigen grauen Overall, den ich über meine andere Kleidung anzog, und eine eckige Mütze. Ein großer Mop ergänzte das Outfit. Die Pistole steckte ich in eine tiefe Seitentasche – nicht der beste Platz für eine Schusswaffe, aber ich wollte sie griffbereit haben.
Ich fuhr zum Lionsgate Manor und parkte in einer Seitenstraße, damit ich notfalls schnell weg konnte. Ich zog die Mütze tief in die Stirn, nahm den Mop in die Hand und marschierte die Rampe der Tiefgarage hinunter. Der Aufzug brachte mich allerdings nur bis ins Erdgeschoss, wo ich an der Pförtnerloge vorbeimusste. Die stämmige Frau in der hellblauen Security-Uniform starrte auf ihren Fernseher, aber als ich an ihr vorbeikam, hob sie den Kopf und rief hinter mir her. Wer ich sei? Und ob ich meinen Sicherheitsausweis nicht dabeihätte?
Mein Polnisch beschränkt sich auf ein paar gestelzte Sätze, die ich als Kind eher unwillig von Boom-Booms Mutter gelernt habe. Jetzt jedoch kamen sie mir sehr gelegen. Ich blieb nämlich keineswegs stehen, sondern rief nur über die Schulter, was ich so an die fünfhundert Mal von Tante Marie gehört hatte: Das Essen ist fertig, es wird kalt, komm sofort an den Tisch usw. Natürlich alles auf Polnisch.
Die Pförtnerin schüttelte ungläubig den Kopf über die Dummheit der Immigranten, hatte aber keine Lust, sich weiter mit mir zu befassen. Stattdessen widmete sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem kleinen Fernseher in ihrer Loge.
Im Aufzug traf ich auf ein echtes Mitglied des Reinigungspersonals. Zum Glück machte die Frau keine Anstalten, sich mit mir zu unterhalten, sondern schaute mich nur zweifelnd von der Seite an und rollte ihren Wäschewagen im fünften Stock hinaus auf den Flur. Als ich zu Miss Claudias Zimmer kam, saß ihre Schwester auf dem einzigen Stuhl neben dem Bett. Pastorin Karen war auch schon da und hielt nach mir Ausschau. Sie begrüßte mich mit gedämpfter Stimme, nahm meinen Arm und führte mich zu Miss Claudias Bett.
Im Nachbarbett lag eine offenbar
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