Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
runzelte die Stirn. »Irgendwas klingelt da, aber ich …«
»Der Chef einer Straßengang«, sagte Coleman. »Sie haben seinen Namen wahrscheinlich in der Zeitung gelesen, als wir ihn endlich hinter Gitter gebracht hatten, Harvey.«
»Ist das nicht der Mann, den du gestern besucht hast?«, fragte Petra, die plötzlich neben Krumas aufgetaucht war. »Vic ist extra ins Gefängnis rausgefahren, um ihn zu besuchen. Er ist überall mit Schlangen bedeckt, stimmt’s?«
»Es sind nur Tätowierungen«, sagte ich, um Krumas zu beruhigen.
»Wollen Sie Merton etwa wieder rausholen, Vic?«, fragte Coleman empört. »Wir haben ihn nicht umsonst eingesperrt, und wir werden nicht zulassen, dass irgendeine dahergelaufene Privatdetektivin mit falschen Beweisen auftaucht, um ihn wieder auf die Menschheit loszulassen.«
»Nein, nein«, sagte Petra. »Sie will ihn ja gar nicht rausholen. Sie arbeitet bloß an einem Fall, der bis in die Zeit zurückreicht, als du und Daddy – als ihr noch in Gage Park gewohnt habt, Onkel Harvey. Es geht um einen Mann, der in einem Schneesturm verschwunden ist.« Sie lachte. »Ich hab mir neulich das Haus angesehen, in dem mein Vater damals gewohnt hat! Ich konnte es gar nicht glauben. Es ist so klein, dass es glatt in den Keller von Overland Park passen würde.«
»Ein Mann, der in einem Schneesturm verschwunden ist?«, sagte Krumas verwirrt.
»Im großen Blizzard von siebenundsechzig«, erläuterte ich. Meine Cousine war wirklich eine Weltmeisterin im Verbreiten von unzusammenhängenden Informationen. Ich warf Coleman einen giftigen Blick zu und stichelte unnötigerweise ein bisschen: »Es geht um einen Schwarzen, einen Freund von Johnny Merton. Er war bei den Leuten, die Martin Luther King vor den Randalierern beschützt haben, die 1966 im Marquette Park den Aufstand geprobt haben. Waren Sie damals schon bei den Pflichtverteidigern, Richter? Haben Sie dafür gesorgt, dass die braven Jungs, die mit Steinen und Flaschen geworfen haben, alle freigesprochen worden sind?«
»Damals fing die Stadt an, vor die Hunde zu gehen«, knurrte Coleman. »Wenn Ihr Vater bei der Polizei war, dann hat er Ihnen das sicher gesagt.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich kalt.
»Damit meine ich, dass gute Männer gezwungen wurden, sich gegen ihre Nachbarn und gute Christenmenschen zu wenden, die ihre Familien zu schützen versuchten.«
»Meinen Sie Dr. King? Der war tatsächlich ein guter Christ, glaube ich.«
»Jetzt reicht’s!« Jolenta Krumas drehte sich zu uns um. »Heute ist Brians großer Abend. Da wollen wir uns doch nicht streiten.«
»Jolenta ist der Boss«, sagte Krumas. »Und sie hat recht, wie immer. Vic, es war schön, Sie kennenzulernen. Wirklich erstaunlich, dass wir uns nie begegnet sind, wo Sie doch Tonys Tochter sind. Lassen Sie sich mal wieder blicken.«
Es waren freundliche Worte, aber sie waren auch eine endgültige Verabschiedung. Coleman grinste gehässig, als ich mich wieder zu Mr Contreras zurückziehen musste, während er bei den Mächtigen Platz nehmen durfte.
Einen Augenblick später erschien der Kandidat. Brian küsste seine Mutter, umarmte seinen Vater und wurde dann von Petra und seinen Presseleuten zu Mr Contreras geführt. So kam es, dass die Kameras von Global Entertainment schließlich meine Seite des Tisches aufnahmen und nicht Colemans.
14
Träume von alten Zeiten
Eine weiße Schneewand erhob sich vor mir, ein gewaltiger Blizzard. Ich erstickte fast, als ich dagegen ankämpfte. Ich musste meinen Vater finden, ich musste mich überzeugen, dass es ihm gut ging. Irgendjemand hatte St Czeslaw gesprengt. Obwohl sie Christen waren, hatten sie ihre eigene Kirche gesprengt. Pater Gribac stand vor dem brennenden Gebäude, schwenkte die Arme und rief, der Kardinal sei selbst daran schuld. »Wenn er den Niggern die Kirche überlassen will, dann sorgen wir eben dafür, dass es keine Kirche mehr gibt!«
Jedes Mal, wenn ich an ihm vorbei wollte, stieß mich der Priester zurück. Mein Vater war Polizist, er hatte die Kirche zu schützen versucht, sie hatten ihn womöglich mit in die Luft gesprengt. »Papa!«, schrie ich, aber wie das in Träumen so ist, brachte ich keinen Ton hervor.
Weinend und schweißbedeckt wachte ich auf. Ich bin eine erwachsene Frau, aber es gibt heute noch Nächte, in denen ich meinen Vater so vermisse, dass mich der Schmerz überwältigt und mir den Atem nimmt.
Es musste wohl die Begegnung mit Harvey Krumas gewesen sein. Was hatte der Vater des
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