Hardcore Zen: Punk Rock, Monsterfilme & die Wahrheit über alles (German Edition)
gestreiften Hemden, keine schmalen Krawatten. Trotzdem war das ein Hardcore-Publikum – und zwar Hardcore-Biker, Hardcore-Trucker und komplett mit langen Haaren, verfilzten Bärten und Bierwampen ausgestattete Hardcore-Fabrikarbeiter. Ein paar Frauen mit blond gebleichten, in riesige Farrah-Fawcett-Dutte aufgemachten Haaren waren da. Der Barbesitzer versicherte uns, dass das hier nur „die Stammgäste“ seien, die sich in ungefähr ’ner Stunde, wenn die New Waver rein kämen, vom Acker machen würden.
Vorsichtig bauten wir unser Equipment auf dem auf, was hier als Bühne durchging. Das war noch nicht mal ’ne erhöhte Plattform, sondern einfach ein nicht ganz so voll gestellter Bereich auf dem Boden zwischen zwei Boxentürmen, die gleichzeitig als PA fungierten. Wir wollten vor den Typen da drin keinen Soundcheck durchziehen, da sie angesichts unserer Mischung aus Irokesenschnitten, Glatzen und Nietenjacken ohnehin schon Schaum vorm Mund hatten. Es vergingen ein paar Stunden, doch die Stammgäste gingen nicht. Es kamen sogar noch ein paar mehr davon. Nicht ein einziger New Waver oder Punk tauchte auf. Um halb elf sagte uns der Barbesitzer, dass wir nun besser mal loslegen sollten.
Ich war derjenige von uns, der dem Publikum noch am ähnlichsten sah, da ich meine schulterlangen Haare nie auf einen „punkigeren“ Stil getrimmt oder mich in ein aus Springerstiefeln und schwarzer Lederjacke bestehendes Punk-Outfit geworfen hatte. Deshalb wurde das Eric Nipplehead Project (ENP), ein Nebenprojekt, das ich mit dem Gitarristen und dem Drummer von Starvation Army aufgezogen hatte, um instrumentalen Surfsound zu spielen, als Opener ausgewählt. Wir spielten acht Stücke, was so etwa 15 Minuten überbrückte, und noch schien es ganz gut zu laufen. Wir hatten das Titellied der
Batman
-Serie und Gary Glitters
Rock and Roll Part 2
im Programm – und damit konnten diese
Deliverance
-Typen zumindest ein bisschen was anfangen. Wir wurden zwar ein wenig durch Zwischenrufe gestört, aber es kam nichts, das wir nicht abschütteln konnten. Ich hatte das Gefühl, dass einige von den Jungs uns beinahe mochten.
Aber das war’s dann auch. ENP war all die Normalität, die wir kollektiv aufbringen konnten. Als nächstes waren Zero Defex dran. Ich wechselte von der Gitarre, die ich bei ENP spielte, zum Bass, und sobald die beiden Skinheads Tommy Strange und Jimi Imij die Bühne einnahmen, wurde klar, dass es Ärger geben würde. Wir schafften es zwar komplett durch unseren ersten Song,
Drop the A-Bomb on Me
– aber das lag nur daran, dass der mit seiner Dauer von 18 Sekunden einfach zu kurz war, als dass irgendeiner der alkoholbenebelten Stammgäste hätte reagieren können, bevor er vorbei war. Als wir zu
Die Before More of This
ansetzen, fischte ein Typ mit rotem ZZ-Top-Bart ein übel aussehendes Jagdmesser aus seiner Jeansjacke und zerschnitt damit Jimi Imijs Mikrokabel.
Uns blieb leider nicht die Zeit, die Ironie, dass die Anlage schließlich der Bar und nicht uns gehörte, gebührend zu würdigen, bevor die Kneipenschlägerei losbrach. Stühle und Bierflaschen flogen und knallten gegen Wände und Tische. Ich verpisste mich ins Damenklo und verkroch mich um mein Leben fürchtend in einer abgeschlossenen Kabine. Irgendwer rannte nach draußen und holte die Bullen, und die Dinge beruhigten sich. Wir bekamen sogar eine Polizeieskorte aus der Stadt hinaus – das dürfte so ziemlich das einzige Mal in der Geschichte des Hardcore gewesen sein, dass die Bullen die Punks beschützten. Mickey, unser Trommler, kam mit gebrochenem Bein nach Hause, doch die anderen Verletzungen waren harmlos. Offenbar war die Bar für diese Sorte Verhalten bekannt. Später erfuhr ich, dass der Greenburst Burns Bass meines Freundes Johnny Phlegm vor nur ein paar Monaten von einem derselben Stiernacken unter ähnlichen Umständen zerlegt worden war. Warum Zero Defex dort jemals einen Gig angenommen haben, nachdem das passiert war, ist mir immer noch ein Rätsel. Ganz offensichtlich hatten wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht.
Danach verließ ich zwar nicht die Band, doch dieser Vorfall nahm mir eine Menge von dem Schwung, mich in dieser Richtung weiterzubewegen. Sicher, ich wollte die selbstzufriedene zeitgenössische Musikszene aufmischen – aber ich wollte dabei auch nicht draufgehen. Zero Defex lösten sich im Sommer 1984 auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte Punk bereits begonnen, aufgeblasen und konservativ zu werden. Es fehlte der freie Geist, den es
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