Hardcore Zen: Punk Rock, Monsterfilme & die Wahrheit über alles (German Edition)
Clevelands kostenloser Musikzeitschrift, in der stand, dass die Band Zero Defex einen Bassisten suchte. Ich hatte Zero Defex zweimal in
The Bank
gesehen, jedes Mal mit einem anderen Bassisten. Sie waren die härteste, schnellste und lauteste Band der Hardcore-Punk-Szene in Akron. Hardcore-Punk trieb die ursprüngliche Philosophie des Punk zehn Stufen weiter: Die schnellen Tempi waren doppelt so schnell, die einfachen Melodien wandelten sich zu Geschrei, die kurz geschnittenen Haare wurden durch rasierte Köpfe ersetzt und das energische Pogo-Tanzen durch Leute, die rumrannten und ineinander rauschten wie Autos beim Demolition Derby.
Und Zero Defex trieben den Hardcore-Punk weiter, als sonst irgendjemand in der Szene zu gehen bereit gewesen wäre. Die anderen Bands, die ich mit ihnen habe spielen sehen, hatten immerhin identifizierbare Songs, von denen einige gar endlose zwei Minuten oder länger dauerten. Jeder Song von Zero Defex hingegen war nur etwa fünfzehn bis dreißig Sekunden lang und keiner von ihnen war auf irgendeine sinnvolle Art und Weise von den anderen auseinanderzuhalten. Ein gesamtes Set von Zero Defex war bereits in der Zeit vorbei, die andere Bands grad mal fürs Stimmen ihrer Instrumente brauchten.
Mein Gott
, dachte ich das erste Mal, als ich sie spielen hörte,
Das ist es. Das ist der Hammer
. Das Härteste, was ich bis dahin gehört hatte, war das Ramones-Album
End of the Century
. Zero Defex waren für mich so etwas wie eine religiöse Offenbarung.
Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass ich mich auf die Anzeige hin meldete (es stellte sich übrigens später heraus, dass ich der Einzige gewesen war, der sich überhaupt gemeldet hatte); ich wurde zum Probenraum der Band geführt, einem heruntergekommenen alten Haus in einem schmierigen Teil von Akron namens North Hill. Fünf oder sechs Punks teilten sich die Miete für das Haus, wobei man davon ausgehen konnte, dass dort zu jeder beliebigen Tageszeit mindestens ein Dutzend Leute rumhingen. Zwei der Mieter hatten Kinder, und daher hatte das Haus den Spitznamen
Mamis allerliebstes Kinderbetreuungszentrum
erhalten. Dieser Ort war das vergammeltste, dreckigste, stinkigste Haus, das ich je in meinem Leben betreten hatte. Auf dem gesamten Boden lag Müll herum: Zigarettenkippen, leere Bierdosen, Junkfood-Verpackungen und so weiter. Es gab Plattenstapel in verschiedensten Stadien von Unordnung und einen klapprigen alten Plattenspieler, der niemals aufhörte, blechern klingende Low-Budget-Punkplatten durch noch blecherner klingende Boxen zu schmirgeln. Auf einer aufgerissenen alten Couch sah ich zwei Glatzköpfe miteinander rummachen. Ich brauchte ’ne volle Minute, um zu checken, dass eine von den beiden ’ne Frau war.
Ich wurde in den Keller geführt und bekam einen stickergepflasterten Fender Musicmaster Bass in die Hand gedrückt, der in ’nen No-Name Verstärker mit zerschossener Box gestöpselt war. Er klang nicht einmal wirklich wie ein Musikinstrument, sondern eher wie ein feucht furzender Sumoringer. Um mich aufzuwärmen, spielte ich ein paar Tonleitern. Als der glatzköpfige Sänger, der eigentlich James Friend heißt, aber sich Jimi Imij nannte, mich hörte, sagte er in angeekeltem Tonfall: „Oh, ein
echter
Musiker.“
Der Gitarrist, Tommy Strange (alias Tom Seiler), auch er ein Skinhead * , zeigte mir ein paar von ihren Songs, wobei ich erstaunt erfuhr, dass diese trotz ihrer absolut chaotisch anmutenden Erscheinung tatsächlich feststehende Akkordwechsel enthielten – trotzdem war Tommy nicht uncool genug zuzugeben, dass er die Bezeichnungen für all die Akkorde, die er spielte, auch kannte. Er spielte mir die Riffs einfach in halsbrecherischem Tempo vor und erwartete von mir, daraus schlau zu werden. Als ich ihn bat, es ein wenig langsamer zu machen, damit ich zumindest sehen könne, was er da tat, warf er mir einen vernichtenden Blick voller Verachtung zu. Aber all ihr Zeug war total einfach, sogar einfacher als die Ramones-Covers, die ich davor gespielt hatte. Ich schaffte mir das gesamte Set an einem Nachmittag drauf und war drin.
Nach und nach fand ich heraus, dass die Hardcore-Leute – ihrer Pose zum Trotz – nicht einfach so vom Himmel gefallen waren. Ich hatte angenommen, dass ihr Drummer Mickie Nelson das einzige Bandmitglied war, das seinen echten Namen benutzte, bis ich erfuhr, dass er zuvor Bass in einer Surfcombo namens The Nelsons gespielt hatte, die eine der letzten Gruppen der ersten Welle von Akrons New
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