Hardcore Zen: Punk Rock, Monsterfilme & die Wahrheit über alles (German Edition)

und nicht aufs Ziel. Das ist wie beim Bogenschießen. Du zielst einfach, so gut du kannst, und lässt den Pfeil dann fliegen. Vielleicht triffst du, vielleicht nicht. Wie dem auch sei, du tust, was dieser Moment erfordert. Und dieser. Und dieser. In
Fundamentale Verse des Mittleren Weges
sagt unser alter indischer Kumpel Nagarjuna, dass Nirvana nicht die Wirklichkeit ist. Der Buddhismus ist einfach rappelvoll mit Widersprüchen. Ist das nicht herrlich?
    Und hier kommt was, dass dich wirklich auf die Palme bringen wird: Möglicherweise hat dein Konzept von absoluter Wirklichkeit gar keine Entsprechung in der absoluten Wirklichkeit.
Anuttara-samyak-sambodhi

    Das bedeutet „völlige, unübertroffene, perfekte Erleuchtung“. Aber nimm zur Kenntnis, dass das Sutra zuerst sagt, dass der Bodhisattva nichts zu erlangen hat und dass er,
weil er nichts zu erlangen hat
, völlige Befreiung erlangt. Du kannst vollständige Befreiung nicht auf die Art und Weise erlangen, auf die du einen 68er Camaro oder eine Vier-Plus in der Mathe-Klausur erlangst. Befreiung kannst du nur dann erlangen, wenn du klar siehst, dass
es nichts zu erlangen gibt
.
    Völlige Befreiung klingt wie ’ne große Nummer. Ist sie auch. Es ist die größte Nummer überhaupt. Aber mach da nicht zu viel draus – weil sie gleichzeitig absolut überhaupt nichts ist.
    Ich liebe die Cover dieser New-Age-Bücher, die irgendeinen erleuchteten Heiligen mit blauen Halos um seinen Körper zeigen, aus dessen Kopf und Fingerspitzen das pure weiße Licht scheint. Es ist die pure Scheiße. Ein echtes erleuchtetes Wesen sieht nicht anders aus als jeder andere auch. Das sind ganz gewöhnliche Leute so wie du. Der andere Kram sind bloß Spezialeffekte.
Anuttara-samyak-sambodhi
bist du. Erleuchtung ist die Wirklichkeit selbst.
    Und die Wirklichkeit bist du – so nackt, stinkig und faul wie’s grad geht.
    Die Wirklichkeit weiß einfach gar nichts.
    Die Wirklichkeit hat Zweifel und Verunsicherungen.
    Die Wirklichkeit wird manchmal geil und manchmal macht’s der Wirklichkeit Spaß, die Witzseiten zu lesen.
    Die Wirklichkeit ist ein alter Sack in Cleveland, der sich beschwert, dass seine Enkel ihm mal wieder das Gebiss geklaut haben.
    Die Wirklichkeit sind fünf Typen, die versuchen, drei Gitarren und ’ne Farfisa Kompaktorgel auf die gleiche Tonlage zu stimmen, und dabei kläglich scheitern.
    Die Wirklichkeit ist die Quelle jedes Sterns, jedes Planeten, jeder Galaxie; jedes Fussels, jedes Atoms; jedes Kleptons, Leptons und Sleptons.
    Die Wirklichkeit ist die Basis jedes Popels in deiner Nase, jedes Schweißflecks im T-Shirt deines Vaters und jeder Klabuster-beere an deinem Arsch.
    Die Wirklichkeit ist dieser Moment.
Das Große Transzendente Mantra

    Der letzte Abschnitt ist wirklich anders als der Rest und scheint uns dazu zu ermutigen, diese kleine Zeile am Ende,
„Gaté, gaté, paragaté, parasamgaté. Bodhi! Svaha!
“ zu singen. Sie bedeutet ungefähr „Gegangen, gegangen, den ganzen Weg gegangen zum anderen Ufer. Erleuchtung! Fett krass!“ Es ist nicht wirklich zum Singen gedacht. Es ist einfach nur ein Ausdruck von Freude als Reaktion auf die Verwirklichung.
    Irgendwer fragte einmal Kobun Chino, der ebenfalls ein Schüler von Nishijimas Lehrer war, was diese Zeile bedeutete, und Kobun antwortete: „Weiß ich nicht, das ist bloß indischer Kram“.
    Eine Menge des Buddhismus ist mit spirituellen indischen Traditionen verknüpft. Aber das ist nicht der wichtige Teil. Woody Allen ruft zwar in seinen Filmen oft
„Jesus!
“, aber das heißt nicht, dass er ein Christ wäre. Das Mantra am Ende des Sutras ist einfach ein Leitgedanke, welcher in der Kultur zu der Zeit, als es aufgeschrieben wurde, so üblich war.
    „Das andere Ufer“ ist Erleuchtung, aber Erleuchtung ist auch dieses Ufer, an dem wir uns gerade jetzt befinden.
    Ärgert dich das? Nein? Lies es so lange, bis es das tut … Wenn Zen-Buddhismus nur darin bestünde zu verstehen, dass das, was wir genau jetzt sind, völlig okay ist, warum machen wir uns dann die Mühe, Zazen zu üben und Bücher zu lesen und Lehrern zuzuhören? Das ist ’ne wichtige Frage.
    Es war die brennende Frage, die der alte Dogen – der Gründer des japanischen Soto-Zen und einer der coolsten Zen-Typen überhaupt – sich stellte, als er damit begann, sich ernsthaft mit Buddhismus zu beschäftigen: Wenn wir, so wie wir sind, bereits perfekt sind, warum sollten wir dann Buddhismus studieren und Zen praktizieren? Niemand konnte Dogen