Hardcore Zen: Punk Rock, Monsterfilme & die Wahrheit über alles (German Edition)
Zukunft finden. Und auch nicht die Gegenwart – aber die lassen wir einfach mal für ein paar Minuten beiseite. Auf meinem Schreibtisch steht ein Foto von meinem Neffen, als er fünf war, verkleidet als
Gammera
, die berühmte japanische feuerspeiende Schildkröte. Er ist mittlerweile zwölf und verkleidet sich nicht mehr als Gammera. Dieser Fünfjährige auf dem Bild wird nie mehr zu finden sein. In einem gewissen Sinn existiert die Vergangenheit, da der Zustand unseres Körpers und Geistes die Anhäufung vergangener Handlungen ist. Doch selbst diese Vergangenheit existiert nur jetzt.
Für gewöhnlich glauben wir, dass die Vergangenheit Erinnerungen erschaffe. Wirkliche Ereignisse trugen sich in der wirklichen Vergangenheit zu und wir erinnern uns daran – doch tatsächlich ist das nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte, die genauso wichtig ist, bedeutet, dass die Erinnerung die Vergangenheit erzeugt. Wir konstruieren aktiv unsere eigene Vergangenheit genau jetzt, genauso, wie wir unsere eigene Zukunft schaffen. Wir können uns dramatische Beispiele hierfür anschauen, doch es gilt ebenso gut für den Alltag.
War Thomas Jefferson nun ein mutiger Kämpfer für die Freiheit der Menschen oder ein ausbeuterischer Sklavenbesitzer, der nebenbei noch was mit seinem weiblichen Eigentum am Laufen hatte? Geschichte wird ständig neu geschrieben – und die „Vergangenheit“ ändert sich. Stalin formte die Vergangenheit um, indem er seine Feinde auf offiziellen Fotos ausradierte, und wir revidieren unsere eigenen Vergangenheiten ständig durch zwar dezentere, letztlich aber doch recht ähnliche Verfahrensweisen.
Hinzu kommt, dass unsere Wahrnehmungen von Ereignissen zu der Zeit, wo sie geschehen, immer mit Mängeln behaftet und unvollständig sind und wir diese mangelhaften Wahrnehmungen jedes Mal umformen, wenn wir zu diesen Erinnerungen zurückkehren. Die Vergangenheit existiert nur in unserem Geist, und der ist sehr wandlungsfähig; dadurch wird die Vergangenheit selbst ebenso formbar.
Es gibt ein anderes buddhistisches Sutra, das Diamant-Sutra genannt wird –
Diamant
, weil seine Weisheit alles durchschneidet. Das Diamant-Sutra sagt: „Der Geist der Vergangenheit ist unerkennbar, der Geist der Zukunft ist unerkennbar, der Geist der Gegenwart ist unerkennbar“. Der Geist der Vergangenheit ist unerkennbar, weil die Vergangenheit nicht dort ist, wo du bist. Niemals. Du kannst Deine Vergangenheit nicht finden, ganz egal, wo du danach suchst. Am Ende ist das Konzept, dass wir „die Vergangenheit“ nennen, kaum mehr als eine schlaue Fiktion, um zu erklären, wie die Dinge so geworden sind, wie sie jetzt sind – und manchmal erklärt diese Fiktion die Dinge nicht mal besonders gut.
Wir mögen uns danach sehnen, die Vergangenheit wiederzusehen, aber das können wir niemals wirklich tun. Und all jene idyllischen Erinnerungen, die wir haben – nun ja, tief drinnen wissen wir wohl, dass die Dinge wahrscheinlich nicht ganz so rosig waren, wie wir uns gerne an sie erinnern (oder auch nicht so völlig beschissen, falls das die Art und Weise ist, zu der unsere Erinnerungen tendieren).
Der Geist der Zukunft ist unerkennbar. Als jemand, der eine ganze Menge abgedrehtes Zeug sammelt, kenn’ ich das nur allzu gut. Manchmal sehe ich ein bestimmtes altes Monster-Buch oder irgendwas anderes zu einem Preis, der einfach ein wenig zu hoch ist. Also sitze ich da und frage mich „Werde ich’s später bereuen, wenn ich es jetzt nicht kaufe?“ Natürlich kann man diese Frage nicht beantworten. Leute stressen sich die ganze Zeit über selbst mit Variationen genau dieser Frage. Wenn ich diesen Vertrag unterzeichne, wird mein Unternehmen dann das große Geld machen? Wenn ich sie um ein Date bitte, wird sie dann ja sagen? Und wenn sie ja sagt, werde ich das Date dann genießen oder bedauern? Du weißt nicht, wie die Zukunft aussehen wird. Du kannst ’nen furchtbaren Job annehmen, um ’ne Menge Kohle „für die Zukunft“ zu machen, aber was, wenn du vorher tot umfällst? Du wirst es nie wissen. Natürlich musst du zu einem gewissen Grad über die Zukunft nachdenken. Ich würd’ wohl kaum ein Buch schreiben, ohne mir einen zukünftigen Zeitpunkt vorzustellen, an dem es gelesen werden könnte. Aber klammer dich nicht zu sehr an die Zukunft. Die Zukunft entzieht sich deiner Kontrolle. Genieße das, was gerade jetzt geschieht. Tu, was im gegenwärtigen Moment angemessen und richtig ist, und lass die Zukunft Zukunft sein.
Was ist
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