Hardcore Zen: Punk Rock, Monsterfilme & die Wahrheit über alles (German Edition)
„Okay! Vielleicht krieg’ ich’s jetzt. Abwarten, abwarten – … Nö. Nix.
Kacke!“
MITTLERWEILE HAB ICH EINGESEHEN, dass es ziemlich sinnlos ist, überhaupt über „Erleuchtung“ zu reden. Der alte Dogen hat’s schon am besten dadurch ausgedrückt, dass er sagte, dass
Zazen selbst
die Erleuchtung ist. Lange Zeit hasste ich diese Aussage mit wahrer Leidenschaft:
Ja, Klar! In Zazen sitzen ist Schmerz und Langeweile, genau das ist es!
Zazen sitzen heißt, mit dem Kopf gegen die Wand vor dir zu knallen, wenn du dich nicht länger gegen’s Einschlafen wehren kannst. Dein Hirn randvoll mit Gedanken zu haben, die so dämlich sind, dass du nur widerwillig glauben kannst, es seien wirklich deine. Das Gefühl zu haben, deine Knie könnten sich in der nächsten Sekunde für immer verkrampfen, und zu denken, du würdest nie wieder laufen können. Auf die Uhr zu starren, nachdem du dachtest, du säßest schon seit zwanzig Minuten, und herauszufinden, dass gerade mal drei vergangen sind. Wenn das Erleuchtung ist, dachte ich mir, dann hab’ ich mich wohl für den falschen Kurs eingeschrieben.
Für jeden –
jeden
–, der damit beginnt, ist Zazen öde und furchtbar. Dein Hirn ist ständig in Bewegung, als ob ein Wespenschwarm in deinem Kopf wütet. Es gibt Momente, in denen du dir ganz sicher bist, dass du unbedingt von deinem Kissen aufspringen, durch den Raum rennen und den Refrain von
Hello, Dolly!
singen müsstest, nur um nicht völlig bekloppt zu werden. Und jeder, der Zazen nicht auf diese Art erlebt, zumindest manchmal, betreibt diese Praxis nicht besonders aufrichtig. Zazen hat nichts damit zu tun, zu Sphären der Glückseligkeit zu entschweben oder sich in eine Alpha-Hirnwellen-Trance zu begeben. Es geht darum, sich dem zu stellen, wer und was du wirklich bist, in jedem einzelnen verdammten Moment. Und du bist keine Glückseligkeit, das kann ich dir jetzt schon sagen. Du bist Chaos. Das sind wir alle.
Aber jetzt kommt’s: Dieses Chaos selbst ist Erleuchtung. Schließlich wirst du sehen, dass das „Du“, welches das Chaos ist, überhaupt nicht wirklich „Du“ ist. Doch ob du deine eigene Erleuchtung bemerkst oder nicht, ist völlig unerheblich; ob du denkst, du seiest erleuchtet oder nicht, hat nichts mit dem wahren Stand der Dinge zu tun.
Wir haben alle ein Selbstbild, und dieses Selbstbild nennen wir „Ich“. Ich tu’s. Du tust es. Und auch Dogen und Buddha Gautama taten es. Ihre Erleuchtung änderte nichts an der Tatsache, dass sie ein Selbstbild hatten. Und sie hörten auch nicht damit auf, dieses Bild als „Ich“ zu bezeichnen, wenn sie versuchten, mit jemand anderem zu kommunizieren. Ganz offensichtlich kann man, ohne gesellschaftlich akzeptierte und verstandene Worte dafür zu benutzen, über schier gar nichts reden. Das Problem mit unserem Selbstbild ist, dass wir es nicht als das sehen, was es wirklich ist: eine nützliche Fiktion. Die Idee, dass unser Selbstbild etwas Dauerhaftes und Substanzielles sei, ist so grundlegend, dass wir wahrscheinlich niemals daran denken würden, sie zu hinterfragen. Wir
glauben
daran, wir glauben, weil es eine so nützliche Fiktion ist, sei sie wirklich wahr. Es mag sogar die
einzige
Fiktion sein, an welche die meisten von uns tatsächlich glauben. Die Wahrheit kommt dann, wenn du durchschaust, dass dein Selbstbild einfach nur ein nützlicher Bezugspunkt ist und sonst nichts und dass du, so wie du dich dir vorgestellt hast, nicht existierst.
Dies ist ein weiterer Punkt, in dem sich der Buddhismus von der Religion unterscheidet. Jede Religion der Welt geht von der Annahme aus, dass das Selbst ein Wesen mit Substanz sei, und baut sich von dort aus auf. Sie bauen alle auf ein Fundament, das nicht nur wacklig, sondern vollkommen abwesend ist! Das ist, wie zu versuchen, ein Haus zu bauen, indem man Backsteine im Himmel stapelt.
Ich hatte all jene Jahre nach Erleuchtung gesucht, ohne zu bemerken, dass das „Ich“, das erleuchtet werden wollte, gar nicht wirklich war. Ich betrachtete das Problem auf völlig falsche Weise. Ich erwartete, dass sich irgendeine große Veränderung in „mir“ vollziehen würde. Doch so funktioniert das überhaupt nicht. Aber es ist auch nicht so, dass die Erkenntnis der Unwirklichkeit des Selbst dich irgendwie zerstören würde. Im
Shobogenzo
sagt Dogen: „Erwachen zerstört das Individuum genauso wenig, wie das Spiegelbild des Mondes einen Tropfen Wasser bricht. Ein Tropfen Wasser kann den gesamten Himmel spiegeln.“ 16
SO
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