Hardcore Zen: Punk Rock, Monsterfilme & die Wahrheit über alles (German Edition)
VERBRACHTE ICH DEN ERSTEN ABEND IM TEMPEL DAMIT, dem Furzmann aus dem Weg zu gehen und von dem, was Nishijima über Erleuchtung sagte, verwirrt zu sein, dann war es Schlafenszeit. Gerade als ich mich für die zweite Hälfte eines geruhsamen Schlafs umdrehen wollte, gab’s ein riesiges Scheppern, wie kalte Eispickel, die mir in die Ohren getrieben wurden. Der Junge mit dem undankbaren Job, das morgendliche Weckritual durchzuziehen, machte, eine laute Messingglocke schüttelnd, seine Runde durch den Tempel. Das ist es, was im Zen als freundlicher Weckruf vom Empfangstisch durchgeht. Nishijima stand innerhalb von Sekunden auf und faltete seine Futonmatratze und Jeremy folgte seinem Beispiel. Der Furzmann gähnte, reckte sich, und machte sich auch ans Falten. Ich lungerte ein wenig länger im Bett herum und versuchte, das Unvermeidliche abzuwehren, doch nachdem die anderen ein paar Mal über mich hinweggelatscht waren, gab ich es auf.
Ich machte den Rest des Retreats mit und blieb dabei vollständig unerleuchtet. Der Furzmann blieb selbstvergessen. Und Jeremy blieb, nun ja, kahl und im Buddhisten-Look. Doch ich freute mich, als, nachdem der Furzmann einmal den Raum verlassen hatte, Nishijima mir und Jeremy zuflüsterte: „Wisst ihr, er ist ein sehr merkwürdiger Mann.“
Es würde mich noch einige Jahre an Mühe und Frustration kosten, bevor ich einen Schimmer davon bekam, was wohl die Antwort auf diese ganze Erleuchtungsfrage sein könnte, bzw. bevor ich die Frage selbst überhaupt richtig verstand. Ich hatte mir ein ziemlich klares Bild davon gemacht, wie sich Erleuchtung anfühlen sollte, und wartete darauf, dass dieses Bild Wirklichkeit werden würde. Wie nicht anders zu erwarten war, tat es das niemals. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass es das auch zu keiner Zeit tun wird.
D.T. SUZUKI, der erste wirklich populäre zen-buddhistische Autor in der westlichen Welt, war voll und ganz ein Rinzai-Mann. Seine Bücher sind vollgepackt mit Bemerkungen zu
satori
, dem japanischen Wort für Erleuchtung. Die Rinzai-Lehren betonen die Bedeutung von Erleuchtungserfahrungen und Rinzai-Schüler streben sehr danach, sie zu erreichen. Die Soto-Schule hat zu diesem Thema eine völlig andere Ansicht.
Eine Menge Zen-Lehrer der Soto-Schule lehnen es sogar ab, über „Erleuchtung“ zu reden. Das sei sinnlos, erzählen sie dir. Alles was es bewirkt, ist, dass es die Angelegenheit durcheinanderbringt. Die Soto-Sicht ist, dass diese sogenannten Erleuchtungserfahrungen nicht wirklich der große Hit sind. Und doch erkennen die Soto-Lehrer an, dass es da etwas gibt, eine Art von Erfahrung, die schließlich eintritt und die irrtümlich und irreführend „Erleuchtung“ genannt wird. Nishijima nennt es gern „die Lösung der philosophischen Probleme“. Manchmal, wenn du ihn in einer guten Stimmung erwischst, nennt er’s auch „die
zweite
Erleuchtung“. Die erste Erleuchtung ist, natürlich, Zazen.
Die Erfahrung, die Nishijima das Lösen der philosophischen Probleme nennt, ist unleugbar echt – doch sie sollte weder überbetont noch überbewertet werden. Eine Menge Leute haben die Idee, dass Erleuchtung so eine Art Pensionierung vom Leben sei. Sie schätzen, dass, sobald sie sie haben, alles einfach locker fließen wird und sie sich nie mehr anstrengen müssen. Sie sehen das Zen-Leben als eine Art Marathonlauf an. Eine lange Zeit musst du wie bescheuert rennen, aber wenn du’s einmal bis hinter die Ziellinie schaffst, hast du’s erledigt. Du siegst. Du kannst dich zurücklehnen und den Rest deines Lebens lang Limo schlürfen. Doch so verhält es sich absolut nicht. Wenn schon, ist eher das Gegenteil wahr. Wenn du die philosophischen Probleme einmal gelöst hast, ist es deine Pflicht, die Lösungen auch umzusetzen. Es wird nicht einfacher, es wird schwieriger.
Die gute Nachricht ist, dass eines der größten philosophischen Probleme, die du klärst, der verirrte Glaube ist, dass faul zu sein irgendwie besser sei als hart zu arbeiten. Das ganze Universum auf die Schultern geschnallt zu bekommen, um sich darum zu kümmern, ist besser, als im Lotto zu gewinnen oder Miss November bzw. Mister Universum eines Morgens nackt vor deiner Schlafzimmertür stehen zu haben. Die philosophischen Fragen zu lösen, bedeutet durchaus, dass du gewonnen hast – aber nicht so was Lächerliches wie den Marathonlauf des Lebens. Du hast die ganze Schöpfung gewonnen. Es steht dir frei, damit zu tun, was dir gefällt – und du stellst fest, dass es
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