Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
weiß oder nicht. Zur Not erfindet er es
eben.«
»Dann werde
ich ihn nicht erwähnen«, sagte Tolliver leicht eingeschnappt. »Ich habe mir nur
überlegt, wie man den Morgensterns helfen könnte, die Sache zu verarbeiten. Und
das wird erst funktionieren, wenn man herausfindet, wer Tabitha umgebracht hat.
Außer, sie haben selbst etwas damit zu tun.«
»Ich weiß«,
sagte ich, überrascht, dass er so gereizt war.
»Welche
Signale hast du gestern von Tabitha empfangen? Als du auf dem Grab standest?«
Ich wollte
mich nur ungern in jene Situation zurückversetzen. Aber dann dachte ich an die
Gesichter von Diane und Joel Morgenstern, an den bösen Verdacht, der über ihnen
schwebte wie ein Damoklesschwert, und wusste, dass ich an Tabithas letzte
Ruhestätte zurückkehren musste.
»Meinst du,
wir können noch mal auf den Friedhof?«, fragte ich. »Ich weiß, dass dort keine
sterblichen Überreste mehr liegen, aber vielleicht hilft es mir.«
Tolliver
würde meinen beruflichen Instinkt nie in Frage stellen. »Klar«, sagte er. »Das
sollten wir allerdings abends machen, damit uns niemand folgt. Denn in dem Fall
werden wir bestimmt kein Taxi nehmen.«
Ich
pflichtete ihm bei, vor allem als ich sah, wie mich der jetzige Taxifahrer
neugierig im Rückspiegel musterte.
»Soll er uns
an der Beale Street absetzen?«, schlug Tolliver vor. »Dann könnten wir vor dem
Abendessen noch ein bisschen Musik hören.«
Ich sah auf
die Uhr. Da es erst fünf Uhr nachmittags war, hielt ich es für wenig wahrscheinlich,
dass dort eine gute Blues-Band spielen würde. »Warum gehst du nicht allein?«,
schlug ich vor. »Ich fahr zurück ins Hotel und mach ein Nickerchen.«
Also stieg
Tolliver beim B. B. King's Blues Club an der berühmten Beale Street aus
und schärfte dem Fahrer noch einmal ein, wo er mich absetzen sollte. Der Fahrer
verzog das Gesicht. »Klar, Mann, ich weiß, wo das ist«, und fuhr mich direkt
zum Cleveland. »Er ist ein bisschen zu beschützerisch, was?«, sagte er, als ich
bezahlte. »Ihr Mann macht sich schnell Sorgen.«
»Ja«, sagte
ich. »Mein Bruder.«
»Ihr Bruder ?«
Der Fahrer sah mich grinsend an, weil er dachte, ich scherze.
Weil ich so
erschöpft war, sagte ich, er dürfe das Wechselgeld behalten. Ohne mich noch
einmal umzusehen, stieg ich aus dem Taxi und ging auf das Hotel zu, was leider
nicht sehr intelligent war.
Schon zum
zweiten Mal an diesem Tag packte mich jemand am Arm. Aber diesmal war es ein
Mann, ein wütender Mann. Er packte mich, als ich die Lobby betrat, und zerrte
mich dann zu einem Sessel, bevor ich überhaupt begriff, wer es war.
Dr. Clyde Nunley war etwas besser angezogen als am Morgen
zuvor. An diesem Nachmittag sah er mit seinem Sportsakko und der dunklen Hose
aus wie ein typischer College-Professor. Seine Schuhe mussten allerdings
dringend mal wieder geputzt werden.
»Wie haben
Sie das angestellt?«, fragte er, ohne meinen Arm loszulassen.
»Was
angestellt?«
»Sie haben
mich lächerlich gemacht! Die Akten waren versiegelt. Ich hab gut auf sie
aufgepasst. Niemand sonst hatte sie gelesen. Wie haben Sie das gemacht? Sie
haben mich vor meinen Studenten bloßgestellt, und dann ruft mich auch noch Ihr
dämlicher Zuhälter an und verlangt Geld!«
Er widerte
mich an; außerdem merkte ich, dass Dr. Nunley getrunken hatte.
Ich
versuchte mich loszureißen. Er hatte mir einen Riesenschreck eingejagt, und
dementsprechend wütend war ich jetzt.
»Lassen Sie
meinen Arm los und treten Sie einen Schritt zurück«, sagte ich laut und
deutlich.
Aus den
Augenwinkeln sah ich, wie die drei (sehr jungen) Hotelangestellten an der
Rezeption nervös zuschauten, weil sie nicht wussten, was sie tun sollten. Ich
war heilfroh, als jemand anders hinzukam und Dr. Nunley eine Hand auf die
Schulter legte.
»Lassen Sie
die Dame los«, sagte der Mann, in dem ich den älteren Studenten erkannte, der
am Vortag am Seminar teilgenommen hatte. Seine Gelassenheit sprach für großes
Selbstbewusstsein und machte klar, dass er sich so schnell nichts sagen ließ.
»Wie bitte?« Clyde Nunley war verwirrt, dass man seinem rowdyhaften
Benehmen Einhalt gebot. Trotzdem lockerte er seinen Griff nicht. Fast hätte ich
den Arm des Studenten gepackt, dann hätten wir alle drei aneinandergehangen und
Ringelreihen tanzen können. Wir mussten eine ziemlich lächerliche Figur
abgeben.
»Dr. Nunley,
lassen Sie mich los, oder ich breche Ihnen Ihre verdammten Finger«, sagte ich.
Das wirkte Wunder. Er reagierte überrascht, so
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