Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
hen Preis dafür zahlen, einen sehr hohen Preis.
Es ist eine fürchterliche Gabe.
Nur zwei von
den Hellsehern, die ich kennengelernt habe, schaffen es, ein ganz normales
Leben zu führen, aber das sind Ausnahmen, zu denen Xylda eindeutig nicht gehört.
Mit
finsterer Miene, aber offenbar in sein Schicksal ergeben, führte Tolliver Xylda
ins Café und half ihr aus ihrem furchtbaren Mantel. Er
ging los, um unsere Getränke zu besorgen, während ich Xylda an einen kleinen
Tisch bugsierte, der möglichst weit von den anderen Gästen entfernt war -
soweit das in einem nicht gerade großen Coffeeshop überhaupt machbar ist. Ich
holte tief Luft und zwang mich, ein verständnisvolles Lächeln aufzusetzen.
Xylda
umklammerte meine Hand, und ich musste mir fest auf die Unterlippe beißen, um
sie ihr nicht gleich wieder zu entreißen. Berührungen ertrage ich nur schwer,
und sie hielt mich nun schon zum zweiten Mal umklammert. Doch dann rief ich mir
wieder in Erinnerung, dass Xylda einen guten Grund haben musste, Kontakt zu uns
aufzunehmen. Wie ich aus ihren Schilderungen wusste, wurde Xylda regelrecht von
Visionen bombardiert, in denen ich vorkam. Sie hatte sie mir einmal
beschrieben, als sie ausnahmsweise gut drauf war, damals, als Robert noch
lebte. »Man muss sich das vorstellen wie eine schnelle
Diashow«, hatte sie gesagt. »Ich sehe Bilder, Bilder aus dem Leben desjenigen,
den ich berühre. Bilder aus seiner Vergangenheit, Bilder aus seiner Zukunft und
Bilder ...« Sie verstummte und schüttelte den Kopf.
»Und
bewahrheiten sich alle?«, hatte ich gefragt.
»Woher soll
ich das wissen? Ich weiß nur, dass sie sich vielleicht bewahrheiten
werden.«
Im Moment
sah mich Xylda an, wenngleich mich ihre blauen Augen kaum wahrzunehmen
schienen. »In der Eiszeit wirst du glücklich sein«, sagte sie.
»Schön«,
erwiderte ich, obwohl ich nur Bahnhof verstand. Aber so war das nun mal, wenn
man sich mit Xylda unterhielt, falls man so etwas überhaupt als Unterhaltung
bezeichnen kann.
»Du darfst
nicht länger lügen«, sagte Xylda sanft. »Du musst damit aufhören. Es tut
niemandem weh.«
»Ich halte
mich eigentlich für ziemlich aufrichtig«, sagte ich überrascht. Man kann mir
vieles vorwerfen, aber nicht, dass ich lüge.
»Oh, du bist
durchaus aufrichtig, aber nur in den unwesentlichen Dingen.«
»Hat dich jemand
nach Memphis begleitet, Xylda?«
»Ja,
Manfred.«
»Und wo ist
er?« Ich kannte keinen Manfred, war aber sehr erleichtert, dass sich jemand um
Xylda zu kümmern schien.
»Er sucht
gerade einen Parkplatz.«
»Ah, gut«,
sagte ich, froh über eine so prosaische Erklärung. Tolliver kam mit unseren
Getränken an den Tisch. Xylda schien sich auf ihren Kaffee voller Vanillearoma
und Zucker zu freuen. Mit einem kleinen braunen Plastikstäbchen rührte sie
sogar noch mehr Zucker hinein. Ich hatte einen normalen Kaffee vor mir stehen
und Tolliver eine heiße Schokolade. »Tolliver, Xylda sagt, sie sei mit Manfred
hier.«
Er hob
fragend die Brauen und schien auch nicht zu wissen, wer das war. Ich zuckte die
Achseln. »Sie sagt, er sucht gerade einen Parkplatz.«
Tolliver
stand auf und starrte aus dem großen Fenster, um dann jemandem heftig
zuzuwinken. »Ich glaube, ich habe ihn entdeckt«, sagte er und ließ sich wieder
auf seinen Stuhl sinken. »Er kommt gerade rein.« Tolliver grinste breit.
»Er ist ein
netter Junge«, sagte Xylda. Sie lächelte uns an. »Ihr habt das
Morgenstern-Mädchen gefunden, wie ich hörte.« Plötzlich klang ihre Stimme
völlig normal und vernünftig.
»Ja«, sagte
ich.
»Du weißt,
dass sie mich auch engagiert hatten.«
»Ach ja?«
»Der Junge
war es nicht«, sagte Xylda. »Es war ein Verbrechen aus Leidenschaft. Aber es
gab keinen Sex mit dem Mädchen.«
»Aha«, sagte
ich. »Warum wurde sie dann umgebracht?«
»Das weiß
ich nicht«, sagte Xylda und starrte in ihren Kaffee.
Genau das
meine ich, wenn ich sage, dass Hellseher keine große Hilfe sind.
»Aber ich
weiß, dass du es herausfinden wirst«, fuhr Xylda fort und musterte mich
eindringlich. »Ich werde nicht dabei sein, aber du wirst es herausfinden.«
»Fährst du
in eine andere Stadt? Hast du einen anderen Auftrag?«
»Ja«, sagte
sie bestimmt. »Ich habe einen anderen Auftrag. Du weißt, dass ich echt bin. Und
das merken die Leute auch, wenn sie mich engagieren.«
»Ja, das
stimmt«, pflichtete ihr Tolliver bei. Dann kam ein junger, schlanker, ganz in
Schwarz gekleideter Mann an unseren Tisch. Wahrscheinlich
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