Harper Connelly 02 - Falsches Grab-neu-ok-10.12.11
mir anders überlegte. Sie würden es ohnehin bald erfahren. Ich sah
zu Tolliver hinüber, der nickte. Er war zu demselben Schluss gekommen.
Die
Morgensterns senior, beide etwa Mitte fünfzig, erhoben sich und kamen langsam
auf mich zu. Mrs Morgenstern brauchte Hilfe, vermutlich
hatte sie Parkinson. Mr Morgenstern wirkte genauso
kräftig wie seine Söhne Joel und David und besaß einen festen Händedruck. Wenn
er jünger und single gewesen wäre und mich um eine
Verabredung gebeten hätte, hätte ich vielleicht sogar ja gesagt, denn Mr Morgenstern war genauso gutaussehend wie seine Söhne. »Wir
sind so froh, dass wir Tabitha endlich zur letzten Ruhe betten können«, sagte Mrs Morgenstern. »Sie haben unserer Familie sehr geholfen.
Jetzt, wo zweifelsfrei feststeht, was mit ihrer Tochter passiert ist, können
Diane und Joel das Baby viel unbelasteter willkommen heißen. Ich heiße übrigens Judy, und mein Mann heißt Ben.«
»Das ist
mein Bruder Tolliver«, sagte ich, nachdem ich dem Paar die Hand gegeben hatte.
»Und das ist
Felicias Dad, Victors Großvater Fred Hart«, sagte Ben.
Fred Hart wirkte weitaus weniger fröhlich als Ben Morgenstern. Aber auch er sah
gut aus für sein Alter. Er war vielleicht ein bisschen breit um die Taille und
schon ein wenig grau, aber immer noch ein Mann, auf den man sich verlassen
kann. Er hielt ein Getränk in der Hand. Ich war mir ziemlich sicher, dass es
weder Mineralwasser noch Tee war.
»Schön, Sie
kennenzulernen, Fred«, sagte ich, und er gab mir wortlos die Hand. Fred Hart
stellte eine Miene zur Schau, die sich ihm fest eingegraben zu haben schien. Er
wirkte ernst und grimmig, und sein Mund war nur noch ein schmaler Strich, der
sich selten zu einem Lächeln verzog. Aber seine Tochter war an Krebs gestorben,
und der Verlust von Tabitha, die schließlich so etwas wie seine Enkelin war,
war sicherlich auch ein schwerer Schlag für ihn gewesen. Er nahm noch einen
Schluck aus seinem Glas und musterte anschließend seine noch lebende Tochter.
Vielleicht hatte er Angst, sie könne auch verschwinden.
Die drei
Großeltern standen vor Einbauregalen voller gerahmter Familienfotos und anderer
Souvenirs.
»Schaut,
hier steht immer noch Tabithas Menora«, sagte Judy und
zeigte auf einen siebenarmigen Leuchter. Ich kannte dieses Symbol des
Judentums. Direkt neben der Menora von Tabitha stand eine weitere, die
allerdings völlig anders aussah.
»Hat jedes
Kind seine eigene?«, fragte ich.
»In manchen
Familien ist das so«, sagte Judy freundlich. Sie
streckte eine zitternde Hand aus. »Das ist die von Victor. Seine musste
natürlich anders aussehen.« Sie lächelte mir verschwörerisch zu, wie um
anzudeuten, dass alle Teenager schwierig sind. Victors Menora sah aus wie eine
kleine Bühne oder ein Podest mit sieben Kerzen darauf, hinter denen sich ein
Spiegel in einem prunkvollen Messingrahmen befand. Hätten beide Menoras nicht
auch als Kerzenständer gedient, wäre ich nie darauf gekommen, dass es sich um
ein und dasselbe religiöse Symbol handelte.
Fred Hart
zeigte auf ein Foto. Sein Finger zitterte. »Mei ne Tochter«,
sagte er, und ich betrachtete höflich den gelungenen Schnappschuss. Die
hochattraktive Frau mit kurzem kupferrotem Haar und großen braunen Augen war
fotografiert worden, während sie auf einem weißen schmiedeeisernen Stuhl im
Garten saß. Der Garten stand gerade in voller Blüte. Wahrscheinlich im Mai,
dachte ich. Sie hielt ein Kleinkind auf dem Schoß, das Victor sein musste, ein
kleiner Junge im Matrosenanzug. Seine Haare waren ebenfalls leuchtend rot - was
mich bei zwei rothaarigen Eltern nicht weiter überraschte -, und er grinste in
die Kamera. Er musste etwa zwei Jahre alt sein, obwohl ich das Alter von
Kindern nicht besonders gut schätzen kann. Mr Hart
berührte den Bilderrahmen mit einer Art strenger Zärtlichkeit und wandte sich
dann schweigend ab, um aus dem Fenster zu schauen.
Judy und Ben machten mit mir die Runde, damit ich ihren
anderen Sohn, Joels Bruder David, kennenlernte, eine blassere, nicht ganz so
charismatische Ausgabe seines Bruders. Ich hatte David bisher nur auf Fotos
gesehen, aber in natura beeindruckte er mich wenig. David hatte denselben
rötlichen Teint und die blauen Augen wie Joel, war aber insgesamt schmaler, und
sein Blick war längst nicht so faszinierend wie der von Joel. David Morgenstern
wirkte nicht sehr erfreut, mich kennenzulernen. So kühl, wie er mir die Hand
gab, schien er nicht recht zu begreifen, warum man Tolliver
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