Harper Connelly 04 - Grabeshauch
waren.
»Aber die Bösen wurden gefasst. Warum sollte jemand auf uns schießen, wenn wir geholfen haben, die Täter dingfest zu machen?«
»Bist du sicher, dass nicht noch mehr Leute in den Fall verwickelt waren? Waren die beiden Männer die einzigen Mörder?«
»Ich bin mir ziemlich sicher, und die Polizei ist es auch. Glaub mir, in dem Fall wurde sehr gründlich ermittelt. Der Prozess
steht noch aus, aber der Staatsanwalt ist sich ziemlich sicher, dass sie verurteilt werden.«
»Gut.« Victoria sah ein paar Sekunden auf Tolliver herab. »Dann verfolgt euch entweder ein Stalker oder es hat mit den Joyces
zu tun.« Sie schwieg einen Moment. »Über deine Schwester gibt es schon eine ganze Weile nichts Neues. Ich nehme an, dass die
Spur von Camerons Entführung längst viel zu sehr erkaltet ist, um noch etwas mit der jetzigen Situation zu tun zu haben.«
Ich nickte. »Das sehe ich genauso. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Joyces etwas damit zu tun haben. Wenn sie mir erlauben,
mit dir zu reden, weihe ich dich gerne ein. So viel gibt es da allerdings auch wieder nicht zu erzählen.«
Victoria zog ihr Handy hervor und machte einen Anruf, obwohl das im Krankenhaus bestimmt nicht erlaubt war. Sie begann zu
reden. Wenige Sekunden später reichte sie mir das Telefon.
»Hallo«, sagte ich.
»Hier ist Lizzie Joyce.«
»Hallo. Darf ich Victoria alles erzählen?«
»Das ist wirklich sehr integer von Ihnen. Sie haben meine Erlaubnis.« Klang sie amüsiert? Ich mag es nicht, wenn mansich über meine Korrektheit amüsiert. »Das mit Ihrem Manager tut mir leid«, fuhr Lizzie fort. »Es soll im selben Motel passiert
sein, in dem wir Sie besucht haben. Meine Güte! Was ist denn da passiert? War es ein Amokläufer?«
Eine Erinnerung kam in mir hoch. »Einer der Cops sagte mir, ein paar Blocks weiter weg habe es ebenfalls eine Schießerei gegeben.
Das könnte also sein, aber es fällt mir schwer, das zu glauben.«
»Nun, das tut mir aufrichtig leid. Wenn ich etwas für Sie tun kann, geben Sie mir bitte Bescheid.«
Ich fragte mich, wie aufrichtig dieses Angebot wirklich war. Eine verrückte Minute lang wollte ich schon sagen: »Dieser Krankenhausaufenthalt
wird sehr teuer, weil wir so schlecht versichert sind. Können Sie die Rechnung übernehmen? Oh, und die für die Reha ebenfalls?«
Aber ich dankte ihr nur und gab Victoria das Handy zurück.
Bisher war ich viel zu besorgt gewesen, um mir über die finanziellen Konsequenzen Gedanken zu machen. Ich verlor mich in Grübeleien,
während Victoria Flores das Telefonat mit Lizzie Joyce beendete. Zum ersten Mal wurde mir die Tragweite der ganzen Sache klar.
Ich begriff, dass Tollivers Verletzung das Ende unseres Traums, ein Haus zu kaufen, bedeutete. Zumindest in der näheren Zukunft.
Ich konnte also noch deprimierter werden als vorhin, was ich vor zehn Minuten noch für völlig unmöglich gehalten hätte.
Ich erzählte Victoria von unserem Besuch auf dem Pioneer Rest Cemetery. Sie stellte mir jede Menge Fragen, die ich nicht beantworten
konnte. Aber am Ende wirkte sie zufrieden, auch noch das Letzte aus mir herausgequetscht zu haben.
»Ich hoffe, ich kann den Joyces weiterhelfen«, sagte sie, inzwischen selbst etwas deprimiert. »Ich konnte es kaum fassen,dass sie sich an mich und nicht an eine große Detektei gewandt haben. Aber jetzt, wo ich die Details kenne, verstehe ich,
warum sie jemanden wie mich wollten.«
»War das schwer, hierher zu ziehen?«, fragte ich.
»Ja, es gibt zwar viel mehr zu tun, aber auch viel mehr Konkurrenz«, sagte Victoria. »Doch es ist gut, dass ich näher bei
meiner Mutter wohne, sie hilft mir mit meiner Tochter. Und die MariCarmen-Schule hier ist besser als die in Texarkana. Außerdem
ist der Schulweg nicht so weit. Ich habe immer noch viele Geschäftskontakte und Freunde in Texarkana. Ich brauche nur zweieinhalb
bis drei Stunden dorthin, je nach Wetter und Verkehr.«
»Wir werden Cameron niemals finden, was?«, sagte ich.
Victorias Mund öffnete sich, als ob sie mir etwas mitteilen wollte. Dann schloss sie ihn wieder. »Das würde ich nicht sagen.
Man weiß nie, wann noch mal eine Spur auftaucht. Und das sage ich nicht nur, um dir was vorzumachen. Das weißt du selbst am
besten.«
Ich nickte.
»Ich habe Cameron stets im Hinterkopf«, sagte Victoria. »Als ich vor all den Jahren zu eurem Wohnwagen kam und mit Tolliver
sprach … Da war ich eine noch ganz unerfahrene Polizistin. Ich dachte, ich
Weitere Kostenlose Bücher