Harper Connelly 04 - Grabeshauch
letzte Mal, dass ich es sah. Anschließend tat die Mutter den letzten Atemzug.«
Den letzten Atemzug. »Und was haben Sie anschließend gemacht?«
Er seufzte, als würde er beinahe unter dem Geständnis zusammenbrechen. »Ich sagte dem Mann, dass wir die Behörden verständigen
und den Todesfall melden müssten. Wir haben uns ziemlich gestritten. Er schien nicht zu verstehen, dass wir vom Gesetz her
dazu verpflichtet sind.«
Nachdem du es vorher schon so gebeugt hast, dachte ich. »Aber letztlich hat er in den Anruf eingewilligt?«
»Ja, solange ich das Baby nicht erwähnte. Das Bestattungsunternehmen kam also, um die junge Frau abzuholen, und ich stellte
den Totenschein aus.« Er ließ die Schultern hängen. Jetzt, wo das Schlimmste gesagt war, konnte er sich entspannen.
»Sie sagten, sie starb an …?«
»An einer Infektion infolge eines Blinddarmdurchbruchs.«
»Und das hat niemand hinterfragt?«
Er zuckte die Achseln. »Es haben sich keine Familienangehörigen gemeldet. Die Joyces schickten mir einen Scheck, mit dem sie
meine Rechnung beglichen – aber auch nicht mehr –, und wenn danach einer ihrer Arbeiter oder Angestellten krank wurde, kam er zu mir.«
Es war sehr schlau von ihnen gewesen, Dr. Bowden nicht offen zu bestechen. Ich war mir sicher, dass er eine ziemlich happige Rechnung gestellt hatte, und sie hatten
sie ganz normal bezahlt. Das hatte den Arzt zufriedengestellt. Und da seine Praxis nicht sehr gut ging, hatten sie ihm einen
dicken Knochen hingeworfen.
»Und warum sind Sie dann nach Dallas gezogen?«, fragte Manfred. Wieder hätte ich nicht davon angefangen, aber wieder unterschätzte
ich den Mitteilungsdrang des Arztes.
»Wegen meiner Frau. Sie konnte Clear Creek nicht ausstehen«, sagte er. »Wobei ich dazusagen muss, dass sie dort auch niemand
ausstehen konnte. Etwa vor sechs Jahren kam ich mit einem Arzt ins Gespräch, dem ich noch nie zuvor auf einem Ärztekongress
begegnet war. Er besaß eine Praxis in Dallas und fragte, ob ich sie übernehmen wolle. Und zwar zum ursprünglichen Mietpreis,
der deutlich niedriger war als das, was Mieter damals zahlen mussten. Die Ausstattung überließ er mir ebenfalls, weil er nach
Übersee zog, um eine neue Stelle bei einem amerikanischen Konsulat in der Türkei oder so anzutreten.«
Merkte er denn wirklich nicht, was für ein abgekartetes Spiel das alles war?
»Ach du grüne Neune!«, entfuhr es Manfred. Er hätte fast noch mehr gesagt, hielt aber zum Glück den Mund.
»Danke«, sagte ich, nachdem mir keine weiteren Fragenmehr eingefallen waren. Aber dann gab es doch noch eine: »Oh, war heute eigentlich schon jemand da, der sich nach Mariah Parish
erkundigt hat?«
»Äh … ja, in der Tat.«
Warum hatte ich bloß nicht daran gedacht, Fotos von den Joyces mitzunehmen? Bisher hatte ich mich ganz gut geschlagen für
jemanden, der nichts von der Arbeit einer Detektivin verstand. Aber in diesem Punkt hatte ich einen Riesenfehler gemacht.
»Wer war es?«
»Er sagte, er heiße Ted Bowman.«
Und das klang natürlich kein bisschen wie Tom Bowden.
»Und er wollte …«
Tom Bowden wirkte nervös, besser gesagt, mehr als nervös. »Er hat mich genau dasselbe gefragt wie Sie, aber aus anderen Gründen.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich.
»Er schien die ganze Geschichte bereits zu kennen. Er wollte nur wissen, wie viel
ich
über die daran Beteiligten wusste.«
»Und was haben Sie ihm erzählt?«
»Ich sagte ihm, dass ich keine Ahnung hätte, wer mich zu dem Haus gebracht hat. Und dass das Baby, als ich es zum letzten
Mal sah, gesund zu sein schien. Auch, dass ich mit niemandem sonst über jene Nacht gesprochen hätte.«
»Und was hat er dann gesagt?«
»Er meinte, das seien gute Neuigkeiten. Er hätte gehört, das Baby sei gestorben, freue sich aber, dass es überlebt hatte.
Er meinte, ich solle jene Nacht lieber vergessen, woraufhin ich ihm sagte, dass ich schon seit Jahren nicht mehr daran gedacht
hätte. Er warnte mich, dass mir andere dieselben Fragen stellen und bloß für Ärger sorgen würden, indem sie behaupteten, Mariah
Parish wäre noch am Leben.«
»Und wie sollten Sie sich in diesem Fall verhalten?«
»Er meinte, ich solle in meinem eigenen Interesse lieber den Mund halten.«
»Aber Sie haben trotzdem mit uns gesprochen.«
Zum ersten Mal sah mir Tom Bowden in die Augen. »Ich bin es leid, dieses Geheimnis mit mir herumzutragen«, sagte er, und ich
glaubte ihm. »Meine
Weitere Kostenlose Bücher