Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
hervor.
Ihr Eingeständnis überraschte ihn. Er fasste es als gutes Omen auf.
»Und was sollen wir dann tun? Damit meine ich nicht nur jetzt und diesen Fall. Ich meine, jetzt und in Zukunft. Was sollen wir tun? Graci, ich habe es satt, etwas zu sein zu versuchen, was ich nicht bin, und diesen Zug in mir zu ignorieren, von dem ich weiß, dass er mein wahres Wesen ausmacht. Um das endlich zu merken und es mir auch einzugestehen, war dieser Fall nötig.«
Sie sagte nichts. Er erwartete auch nicht, dass sie etwas sagte.
»Du weißt, ich liebe dich und die Kinder. Darum geht es nicht. Ich glaube, ich kann beides haben, und du glaubst, das ginge nicht. Du hast dich auf diesen Entweder-oder-Standpunkt versteift, aber ich finde, das ist nicht richtig. Oder fair.«
Er wusste, seine Worte verletzten sie. Er stellte ihr ein Ultimatum. Einer von ihnen musste kapitulieren. Er brachte zum Ausdruck, dass das nicht er wäre.
»Schau, lass uns in Ruhe darüber nachdenken. Das ist hier kein guter Ort, um zu reden. Ich werde jetzt Folgendes machen: Ich werde diese Sache zu Ende bringen und dann setzen wir uns hin und unterhalten uns über unsere Zukunft. Ist das in Ordnung?«
Sie nickte zwar langsam, sah ihn aber nicht an.
»Dann tu eben, was du tun musst«, sagte sie in einem Ton, der ihm, wusste er, für immer ein schlechtes Gewissen machen würde. »Ich hoffe nur, du bist vorsichtig.«
Er zog sich zu ihr hinüber und küsste sie wieder.
»Ihr bedeutet mir viel zu viel, als dass ich es nicht wäre.«
Er stand auf und ging um den Tisch herum zu der Kleinen. Er küsste sie aufs Haar, dann öffnete er den Sicherheitsgurt der Wippe und hob sie heraus.
»Ich bringe sie zum Cart raus«, sagte er. »Hol du inzwischen Raymond.«
Er trug das Baby zum Wagen und schnallte sie im Kindersitz fest. Die Wippe verstaute er im hinteren Gepäckfach. Wenige Minuten später kam Graciela mit Raymond nach. Ihre Augen waren vom Weinen geschwollen. McCaleb legte Raymond die Hand auf die Schulter und führte ihn zum vorderen Beifahrersitz.
»Du wirst dir das zweite Spiel ohne mich ansehen müssen, Raymond. Da ist etwas, was ich unbedingt erledigen muss.«
»Ich kann mitkommen. Ich kann dir helfen.«
»Nein, es ist kein Charter.«
»Ich weiß, aber trotzdem kann ich dir helfen.«
McCaleb wusste, dass Graciela ihn ansah, und er spürte das schlechte Gewissen wie die Sonne auf seinem Rücken.
»Danke, vielleicht ein andermal, Raymond. Schnall dich an.«
Sobald der Junge den Sicherheitsgurt angelegt hatte, trat McCaleb vom Wagen zurück. Er sah Graciela an, die den Blick von ihm abgewandt hatte.
»Okay«, sagte er. »Ich sehe zu, dass ich möglichst schnell zurück bin. Und ich habe das Handy dabei, falls du mich anrufen möchtest.«
Graciela schenkte ihm keine Beachtung. Sie fuhr vom Straßenrand los und die Marilla Avenue hinauf. Er blickte ihnen nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte.
33
A ls er zum Anleger zurückging, begann sein Handy zu trällern. Es war Jaye Winston, die ihn zurückrief. Sie sprach sehr leise und sagte, sie riefe aus dem Haus ihrer Mutter an. Da McCaleb Mühe hatte, sie zu verstehen, setzte er sich auf eine der Bänke entlang der Casinopromenade. Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. An das eine Ohr drückte er das Telefon, das andere hielt er sich mit der Hand zu.
»Wir haben etwas übersehen«, sagte er. »Ich habe etwas übersehen.«
»Terry, wovon reden Sie?«
»In der Mordakte. In Gunns Festnahmeprotokoll. Er war –«
»Terry, was soll das? Der Fall geht Sie nichts mehr an.«
»Sagt wer – das FBI? Ich arbeite nicht mehr für diesen Verein, Jaye.«
»Dann sage ich es eben. Ich möchte nicht, dass Sie sich weiter –«
»Ich arbeite auch nicht mehr für Sie, Jaye. Oder haben Sie das schon wieder vergessen?«
Darauf trat lange Stille ein.
»Terry, ich weiß nicht, was Sie gerade tun, aber Sie müssen damit Schluss machen. Sie haben in diesem Fall keinen offiziellen Status, keine Befugnis mehr. Wenn diese zwei FBI-Typen, Twilley und Friedman, rausfinden, dass Sie da immer noch mitmischen, können die Sie wegen Amtsbehinderung festnehmen. Und Sie wissen sehr genau, dass das den beiden durchaus zuzutrauen wäre.«
»Wenn Sie eine Befugnis sehen wollen, ich habe eine.«
»Was? Ich habe sie Ihnen gestern entzogen. Auf mich können Sie sich nicht mehr berufen.«
Nach kurzem Zögern beschloss McCaleb, es ihr zu sagen.
»Ich habe eine Befugnis. Man könnte durchaus sagen, dass ich
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