Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
Beweisführung ist absolut kugelsicher, Harry, und wir finden, wir sollten morgen den Abzug drücken.«
Bosch war einen Moment still und versuchte, den ganzen Waffenjargon zu entschlüsseln.
»Heißt das, Sie wollen die Sache morgen zum Abschluss bringen?«
»Ja, das wollen wir. Wahrscheinlich werden wir heute Abend noch mal über alles sprechen, aber Alices Segen haben wir bereits, und Roger findet, es wäre das einzig Richtige. Vorgestellt haben wir uns das Ganze in etwa so: Am Morgen fahren wir noch ein paar weitere Zeugen auf und nach der Mittagspause rücken wir dann mit Annabelle Crowe an. Wir wollen mit ihr aufhören – mit einer menschlichen Komponente. Mit ihr ziehen wir den Schlussstrich.«
Bosch war sprachlos. Vom Standpunkt der Anklage betrachtet, war dieses Vorgehen wahrscheinlich richtig. Aber es hieß auch, dass J. Reason Fowkkes schon ab Dienstag das weitere Prozessgeschehen bestimmen würde.
»Was meinen Sie, Harry?«
Er nahm einen langen Schluck aus der Flasche. Das Bier war nicht besonders kalt. Es war eine Weile im Auto gewesen.
»Ich meine, Sie haben nur einen einzigen Schuss«, sagte er in Anlehnung an ihre Waffenmetaphorik. »Denken Sie lieber noch mal lang und gründlich über die ganze Sache nach, wenn Sie heute Abend Ihre Spaghetti machen. Eine zweite Chance, den Fall zur Verhandlung zu bringen, kriegen Sie nicht mehr.«
»Das wissen wir, Harry. Woher wussten Sie übrigens, dass ich Spaghetti mache?«
Er konnte das Grinsen in ihrer Stimme hören.
»Das war nur geraten.«
»Machen Sie sich jedenfalls keine Sorgen, wir werden lang und gründlich darüber nachdenken – und haben das auch schon getan.«
Sie hielt inne, um ihm eine Gelegenheit zu geben, etwas zu erwidern. Aber er blieb still.
»Für den Fall, dass wir es so machen – wie sieht es mit Crowe aus?«
»Sie wartet in den Kulissen, bereit für ihren Auftritt.«
»Können Sie sie heute Abend erreichen?«
»Kein Problem. Ich werde ihr sagen, sie soll morgen Mittag da sein.«
»Danke, Harry. Dann bis morgen.«
Sie legten auf. Bosch dachte über das Ganze nach. Er überlegte, ob er McCaleb anrufen und ihm sagen sollte, was sie vorhatten. Er beschloss zu warten. Er ging ins Wohnzimmer und machte die Stereoanlage an. Im CD-Player war immer noch Art Pepper. Bald füllte die Musik den Raum.
35
M cCaleb lehnte vor der Hollywood Station des LAPD an seinem Cherokee, als Winston in einem BMW Z3 vorfuhr und parkte. Beim Aussteigen sah sie, wie McCaleb ihr Auto begutachtete.
»Ich habe mich verspätet. Deshalb hatte ich keine Zeit mehr, mir einen Dienstwagen zu nehmen.«
»Gefällt mir, Ihr fahrbarer Untersatz. Wie heißt es in L. A.? Man ist, was man fährt.«
»Bleiben Sie mir bloß mit diesem Scheiß vom Hals, Terry. Für ein Psychogramm ist es noch zu früh. Wo haben Sie die Akte und das Video?«
Er nahm ihre Ausdrucksweise zur Kenntnis und dachte sich seinen Teil. Er stieß sich von seinem Wagen ab, ging auf die Beifahrerseite, machte die Tür auf und nahm die Mordakte und das Tatortvideo heraus. Er gab ihr beides und sie ging damit zu ihrem Auto. Als er den Cherokee abschloss, blickte er durch das Fenster auf den Boden des Fonds, wo er die Morgenzeitung über die Kinko’s-Schachtel gelegt hatte. Bevor er hierher gekommen war, war er zu dem 24 Stunden geöffneten Copy-Shop am Sunset Boulevard gefahren und hatte die ganze Mordakte kopiert. Mit dem Video war es nicht so einfach; er wusste nicht, wo er es auf die Schnelle überspielen lassen könnte. Deshalb hatte er sich in dem Rite-Aid unten am Hafen einfach eine Videokassette gekauft und das unbespielte Band in die Hülle gesteckt, die Winston ihm gegeben hatte. Er nahm an, sie würde nicht nachprüfen, ob er ihr das richtige Video zurückgegeben hatte.
Als sie von ihrem Wagen zurückkam, deutete er mit dem Kinn über die Straße.
»Ich glaube, ich schulde Ihnen eine Schachtel Donuts.«
Sie blickte in die angezeigte Richtung. Auf der anderen Seite der Wilcox Avenue, gegenüber der Polizeistation, war ein heruntergekommenes zweigeschossiges Gebäude mit einer Handvoll Kautionsbüros. In den Schaufenstern prangten in billigem Neon ihre Telefonnummern, wahrscheinlich, damit potentielle Kunden sie sich schon mal einprägen konnten, wenn sie auf dem Rücksitz eines Streifenwagens daran vorbeifuhren. Über dem Fenster des mittleren Büros war ein gemaltes Schild angebracht: Valentino Bonds.
»Welches ist es?«, fragte Winston.
»Valentino. Wie in Rudy Valentino
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