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Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht

Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht

Titel: Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Hölle war ein düsterer Ort abgebildet, an dem vogelähnliche Kreaturen die Verdammten ausweideten, ihre Körper in Stücke schnitten und in Pfannen legten, um sie in glühende Öfen zu schieben.
    »Das alles ist dem Kopf dieses Kerls entsprungen«, sagte McCaleb. »Ich …«
    Er sprach nicht weiter, weil er nicht sicher war, was er eigentlich zu sagen versuchte.
    »Eine gequälte Seele«, sagte Fitzgerald und blätterte weiter.
    Auch das nächste Gemälde war rund. In der Mitte befand sich eine Darstellung Gottes, die von einem Ring aus sieben einzelnen Szenen umgeben war. In dem goldenen Streifen, der die Darstellung Gottes umgab und von den anderen Szenen abgrenzte, standen vier lateinische Wörter, die McCaleb sofort wieder erkannte.
    »Hab Acht, hab Acht, Gott sieht.«
    Fitzgerald blickte zu ihm auf.
    »Anscheinend haben Sie das Bild schon mal gesehen. Oder Sie sind Experte für Latein des fünfzehnten Jahrhunderts. Muss wirklich ein eigenartiger Fall sein, an dem Sie da arbeiten.«
    »Er wird es immer mehr. Ich kenne allerdings nur die Inschrift, nicht das Bild. Was ist das?«
    »Eigentlich ist es eine Tischplatte, wahrscheinlich für ein Pfarrhaus oder die Residenz eines hohen geistlichen Würdenträgers geschaffen. Es ist das Auge Gottes. Gott befindet sich in der Mitte, und was er sieht, wenn er auf diese Bilder blickt, sind die Sieben Todsünden.«
    McCaleb nickte. Einige der Sünden auf den Darstellungen waren unschwer zu erkennen: Völlerei, Wolllust und Stolz.
    »Und jetzt sein Meisterwerk«, kündigte seine Führerin an, als sie umblätterte.
    Sie kam zum selben Triptychon, das sie an die Wand ihres Abteils geheftet hatte. Der Garten der Lüste. Jetzt betrachtete McCaleb es genauer. Auf der linken Tafel war eine bukolische Szene mit Adam und Eva, die vom Schöpfer, nicht weit von einem Apfelbaum, in den Garten Eden gesetzt wurden. Auf dem Mittelstück, der größten der drei Bildtafeln, waren Dutzende nackter Menschen zu sehen, die wild kopulierten und tanzten oder auf Reitpferden, prächtigen Vögeln und Phantasiegeschöpfen ritten, die aus einem See im Vordergrund kamen. Und schließlich die letzte Bildtafel, die düstere, der Lohn dieses Treibens. Die Hölle, ein Ort der Foltern und Qualen, die den Verdammten von Ungeheuern in Vogelgestalt und anderen grausigen Kreaturen zugefügt wurden. Das Gemälde war so minutiös ausgearbeitet und faszinierend, dass McCaleb gut verstehen konnte, wie jemand vier Stunden vor diesem Bild – dem Original – stehen konnte und trotzdem noch nicht alles sah.
    »Vermutlich bekommen Sie jetzt langsam einen Eindruck von der Gedankenwelt hinter Boschs immer wiederkehrenden Themen«, sagte Fitzgerald. »Dieses Bild gilt nicht nur als das kohärenteste seiner Werke, sondern auch als das am schönsten imaginierte und ausgeführte.«
    McCaleb nickte und deutete beim Sprechen auf die drei Bildtafeln.
    »Hier haben wir Adam und Eva – das Paradies auf Erden, bis sie von der verbotenen Frucht essen. Dann finden wir in der Mitte dargestellt, was nach dem Verlust der göttlichen Gnade passiert; ein Leben ohne Gesetze. Der freie Wille führt zu Lust und Sünde. Und wo endet das alles? In der Hölle.«
    »Sehr gut. Vielleicht darf ich Sie dann noch auf ein paar Besonderheiten hinweisen, die für Sie von Interesse sein könnten?«
    »Bitte, gern.«
    Sie begann bei der ersten Bildtafel.
    »Das irdische Paradies. Wie Sie ganz richtig sagten, stellt es Adam und Eva vor dem Sündenfall dar. Der Springbrunnen in der Mitte steht für die Aussicht auf ewiges Leben. Den Obstbaum in der Mitte links haben Sie bereits bemerkt.«
    Ihr Finger wanderte zu dem Brunnen, einem hohen blütenartigen Gebilde, aus dem sich vier Wasserstrahlen in das Becken darunter ergossen. Dann sah er es. Ihr Finger verharrte unterhalb einer kleinen dunklen Öffnung in der Mitte des Brunnens. Aus dem Dunkeln spähte das Gesicht einer Eule.
    »Sie haben vorhin die Eule erwähnt. Hier ist eine abgebildet. Sie sehen also, in diesem Paradies ist nicht alles perfekt. Das Böse liegt bereits auf der Lauer, und wie wir wissen, wird es schließlich die Oberhand gewinnen. Nach Auffassung Boschs. Wenn wir zur nächsten Bildtafel gehen, werden wir diese Bildsymbolik immer wieder finden.«
    Sie wies auf zwei eindeutig als solche zu erkennende Eulen sowie auf zwei eulenähnliche Geschöpfe. Eine dieser Darstellungen ließ McCalebs Blick nicht mehr los. Sie zeigte eine große braune Eule mit glänzenden schwarzen Augen, die von

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