Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
New York?«
»Dahin gehen die richtigen Schauspieler. Sie ist nur ein Gesicht. Sie wird hier bleiben.«
»Finden Sie sie, Harry. Wir brauchen sie nächste Woche.«
»Ich werde es versuchen.«
Darauf trat ein Moment der Stille ein, in dem beide nachdachten.
»Glauben Sie, dahinter könnte Storey stecken?«, fragte Langwiser schließlich.
»Das frage ich mich auch. Möglicherweise hat er ihr etwas beschafft, was sie braucht – einen Job, eine Rolle, Geld. Wenn ich sie finde, werde ich sie fragen.«
»Okay, Harry. Viel Glück. Falls Sie sie heute Abend noch finden, geben Sie mir Bescheid. Ansonsten sehen wir uns morgen früh.«
»Ja.«
Bosch unterbrach die Verbindung und legte das Telefon auf die Küchentheke. Dann nahm er einen dünnen Packen acht mal zwölf Zentimeter großer Kärtchen aus seiner Jackentasche. Auf jeder Karte stand der Name eines der Zeugen, die er überprüfen und auf den Prozess vorbereiten musste, des weiteren die Privat- und Büroadresse sowie Telefon- und Pagernummer. Er suchte die Karte für Annabelle Crowe und wählte ihre Pagernummer. Er bekam eine auf Band gesprochene Nachricht zu hören, der Pager sei nicht mehr länger in Betrieb.
Er klappte das Telefon zu und sah noch einmal auf die Karte. Am unteren Rand hatte er sich Namen und Telefonnummer von Annabelle Crowes Agent notiert. Er nahm an, der Agent wäre die einzige Verbindung, die sie nicht kappen würde.
Er steckte das Telefon und die Karten in seine Taschen zurück. Das war eine Auskunft, die er persönlich einholen würde.
13
M cCaleb machte die Überfahrt mit der Following Sea allein und traf zusammen mit der Dunkelheit im Avalon Harbor ein. Buddy Lockridge war in der Cabrillo Marina geblieben, weil keine neuen Charteraufträge eingegangen waren und er deshalb bis Samstag nicht gebraucht würde. Bei der Ankunft auf der Insel funkte McCaleb auf Kanal 16 den Hafenmeister an und bat um Hilfe beim Vertäuen des Bootes.
Das zusätzliche Gewicht der zwei schweren Bildbände, die er in der Buchhandlung Dutton’s in Brentwood gekauft hatte, und die kleine Kühlbox mit tiefgefrorenen Tamales machten den Weg zu seinem Haus hinauf zu einer beschwerlichen Angelegenheit. Er musste zweimal am Straßenrand Halt machen, um auszuruhen. Dabei setzte er sich jedes Mal auf die Kühlbox und nahm einen der Bildbände aus seiner Ledertasche, um sich – selbst im abendlichen Dämmerlicht – die düsteren Arbeiten von Hieronymus Bosch anzusehen.
Seit seinem Besuch im Getty Museum gingen ihm die Szenen in den Gemälden Boschs nicht mehr aus dem Kopf. Das hing mit etwas zusammen, was Nep Fitzgerald gesagt hatte. Unmittelbar bevor sie den Bildband über der Reproduktion des Gartens der Lüste zugeklappt hatte, hatte sie mit einem verhaltenen Lächeln zu ihm aufgeblickt, als wolle sie etwas sagen, zögere aber noch, ob sie damit herausrücken sollte.
»Was ist?«, hatte er sie deshalb gefragt.
»Eigentlich nichts, nur so eine Beobachtung.«
»Nur zu, tun Sie sich keinen Zwang an. Ich würde es gern hören.«
»Ich wollte nur sagen, dass viele Kritiker und Wissenschaftler, die sich mit Boschs Werk befassen, in seinen Bildern auffallende Parallelen zu unserer jetzigen Zeit sehen. Das ist es, was einen großen Künstler auszeichnet – wenn sich sein Werk über die Jahrhunderte hinweg seine Aktualität bewahrt. Wenn es die Fähigkeit beibehält, die Menschen anzusprechen und … und sie vielleicht auch zu inspirieren.«
McCaleb nickte. Er wusste, sie wollte, dass er ihr erzählte, woran er arbeitete.
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Aber es tut mir Leid, ich darf Ihnen im Moment noch nichts darüber erzählen. Eines Tages werde ich das vielleicht tun oder Sie werden selbst merken, was es war. Trotzdem vielen Dank. Sie haben mir sehr geholfen, glaube ich. Aber sicher bin ich noch nicht.«
Als McCaleb jetzt auf der Kühlbox saß, erinnerte er sich an das Gespräch. Auffallende Parallelen zur jetzigen Zeit. Und zu Verbrechen, dachte er. Er schlug den größeren der zwei Bildbände auf und blätterte zu einer Farbreproduktion von Boschs Meisterwerk. Er betrachtete die Eule mit den schwarzen Augen und alles sagte ihm, dass er etwas Entscheidendem auf der Spur war. Etwas sehr Düsterem und Gefährlichem.
* * *
Als er nach Hause kam, nahm ihm Graciela die Kühlbox aus der Hand und öffnete sie auf der Küchentheke. Sie nahm drei der grünen Mais-Tamales heraus und legte sie auf einen Teller, um sie in der Mikrowelle aufzutauen.
»Ich
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