Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
Bildbände entdeckte McCaleb die Farbreproduktion eines Gemäldes, das an das Bild erinnerte, an dem Vosskuhler arbeitete. Er schob die Bücher ein Stück beiseite und beugte sich vor, um sich den Druck genauer anzusehen. Er bestand aus drei Tafeln, von denen die mittlere etwas größer war. Auch auf diesem Bild herrschte ein wildes Durcheinander. Auf den drei Tafeln wimmelte es von seltsamen Gestalten. Szenen von Laster und Folter.
»Kennen Sie es?«, fragte Fitzgerald.
»Ich glaube nicht. Aber es ist von Bosch, oder?«
»Gewissermaßen sein Markenzeichen. Das Triptychon Der Garten der Lüste. Es hängt im Prado in Madrid. Einmal stand ich vier Stunden davor. Und selbst das war nicht lange genug, um alles aufzunehmen. Möchten Sie einen Kaffee oder ein Glas Wasser oder sonst etwas, Mr. McCaleb?«
»Nein danke. Sie können mich übrigens Terry nennen, wenn Sie wollen.«
»Und ich bin Nep.«
McCaleb sah sie fragend an.
»So wurde ich als Kind immer genannt.«
Er nickte.
»Also«, fuhr sie darauf fort. »In diesen Bildbänden kann ich Ihnen jedes Bosch zugeschriebene Werk zeigen. Ist es ein wichtiges Ermittlungsverfahren?«
McCaleb nickte.
»Ich denke schon. Es geht um einen Mord.«
»Und Sie haben dabei eine Art Beraterfunktion?«
»Ich habe in L. A. mal fürs FBI gearbeitet. Die für den Fall zuständige Ermittlerin des Sheriff’s Department hat mich gebeten, mal einen Blick in die Sache zu werfen, ob mir was dazu einfällt. Das hat mich hierher geführt. Zu Bosch. So Leid es mir tut, aber ich darf Ihnen über die Einzelheiten des Falls nichts sagen, obwohl mir natürlich klar ist, dass das ziemlich frustrierend für Sie sein muss. Ich will Ihnen alle möglichen Fragen stellen, darf aber eigentlich keine Ihrer Fragen beantworten.«
»Das ist aber schade.« Sie lächelte. »Hört sich ja richtig spannend an.«
»Aber wissen Sie was? Wenn es mal so weit kommen sollte, dass ich Ihnen etwas darüber erzählen darf, werde ich das nachholen.«
»Gern.«
McCaleb nickte.
»Wenn ich Dr. Vosskuhlers Äußerungen richtig verstanden habe, ist über den Mann, der diese Bilder gemalt hat, nicht allzu viel bekannt.«
Fitzgerald nickte.
»Hieronymus Bosch ist und bleibt ein Rätsel.«
McCaleb legte seinen Notizzettel auf den Tisch und begann, sich Notizen zu machen, während sie sprach.
»Er hatte höchst ungewöhnliche Vorstellungen für die damalige Zeit – oder eigentlich für jede Zeit. Sein Werk ist absolut einzigartig und selbst fünf Jahrhunderte später noch ständig Gegenstand neuer Untersuchungen und Deutungen. Sie werden allerdings, glaube ich, feststellen, dass der Grundtenor aller bisherigen kritischen Auseinandersetzungen mit diesem Künstler ist, dass er die Welt in sehr düsteren Farben malte. Sein Werk ist durchdrungen von Hinweisen auf Tod und Verdammnis und den Lohn der Sünde. Kurz gesagt, seine Gemälde sind im wesentlichen Variationen des immer gleichen Themas: dass der Weg der Menschheit wegen ihrer Lasterhaftigkeit letzten Endes unausweichlich in die Hölle führt.«
Um mitzukommen, musste McCaleb sehr schnell schreiben. Er bedauerte, kein Tonbandgerät mitgenommen zu haben.
»Netter Kerl, nicht?«, bemerkte Fitzgerald.
»Hört sich ganz so an.« Er deutete mit dem Kopf auf die Reproduktion des Triptychons. »Dürfte eine wahre Stimmungskanone gewesen sein.«
Sie lächelte.
»Genau den Eindruck hatte ich auch, als ich im Prado war.«
»Irgendwelche sympathischen Seiten? Hat er Waisen aufgenommen, Hunde gemocht oder alten Damen Reifen wechseln geholfen, irgendwas in der Art?«
»Um zu verstehen, was er mit seiner Kunst beabsichtigte, müssen Sie sich vor Augen halten, an welchem Ort und zu welcher Zeit er gelebt hat. In seinem Werk wimmelt es nur so von Gewaltdarstellungen und Schilderungen aller nur erdenklichen Foltern und Grausamkeiten, aber es war ja auch eine Zeit, in der diese Dinge an der Tagesordnung waren. Er lebte in einer Zeit der Gewalt; das kommt in seinem Werk sehr deutlich zum Ausdruck. Außerdem reflektieren seine Gemälde den mittelalterlichen Glauben, dass die Welt voller Dämonen war. In diesen Bildern lauert das Böse überall.«
»Die Eule?«
Sie sah ihn kurz ausdruckslos an.
»Ja, die Eule ist ein Symbol, das er verwendet hat. Aber sagten Sie nicht, Sie wären mit seinem Werk nicht vertraut?«
»Das bin ich auch nicht. Aber eine Eule ist der Grund, weshalb ich hier bin. Näheres darf ich Ihnen dazu allerdings nicht sagen. Entschuldigen Sie, dass ich
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