Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
winziges Büro im zwölften Stock des FBI-Gebäudes in Westwood. Er kam allerdings ohne Sheehan, weil er und sein Partner hinsichtlich der Frage, ob sie das FBI hinzuziehen sollten, unterschiedlicher Meinung waren. Die üblichen Eifersüchteleien zwischen den einzelnen Ermittlungsbehörden. Aber Bosch interessierte das alles nicht. Ihn interessierte nur der Fall. Er hatte gehetzte Augen. Der Fall setzte ihm sichtlich zu.
Die Leiche war nackt und in vielerlei Hinsicht verletzt aufgefunden worden. Der Täter hatte Handschuhe getragen, als er das Mädchen erwürgte. Auch in der weiteren Umgebung der Fundstelle waren weder Kleider noch die Handtasche der Toten aufgetaucht. Ihre Fingerabdrücke waren in keiner Datenbank gespeichert und ihr Aussehen passte zu keiner Personenbeschreibung einer Vermisstenmeldung im Los Angeles County oder in einer der landesweiten Verbrechensaufklärung dienenden Datenbanken. Eine in der Presse und in den Fernsehnachrichten verbreitete Porträtzeichnung des Opfers zog ebenso wenig eine Reaktion seitens eines Angehörigen nach sich wie die Konterfeis, die an fünfhundert Polizeidienststellen des amerikanischen Südwestens und an die mexikanische Staatspolizei gefaxt wurden. Solange Bosch und sein Partner an der Aufklärung des Falls arbeiteten, fand sich niemand, der die Tote in der Kühlanlage des gerichtsmedizinischen Instituts identifizieren konnte.
An der Leiche waren keinerlei Spuren gefunden worden, die Hinweise auf den Täter gaben. Abgesehen davon, dass an der Toten keinerlei Kleidungsstücke oder sonstige der Identifizierung dienende persönliche Gegenstände gefunden worden waren, war sie anscheinend mit einem starken Reinigungsmittel gewaschen worden, bevor sie spät nachts vom Mulholland Drive den Abhang hinuntergeworfen worden war.
Nur einen einzigen Anhaltspunkt wies die Leiche auf. Eine Vertiefung in der Haut der linken Hüfte. Die Hautverfärbung deutete darauf hin, dass sich das Blut in der linken Körperhälfte abgesetzt hatte. Das hieß, die Tote hatte von dem Moment an, in dem ihr Herz zu schlagen aufgehört hatte, bis zu dem Zeitpunkt, als sie den Abhang hinuntergeworfen worden war, wo sie dann mit dem Gesicht nach unten auf einem Haufen leerer Bierdosen und Tequilaflaschen liegen geblieben war, auf der linken Seite gelegen. Die Vertiefung deutete darauf hin, dass die Leiche während der Zeit, in der sich das Blut im Körper abgesetzt hatte, auf dem Gegenstand gelegen hatte, der den Abdruck in ihrer Hüfte hinterlassen hatte.
Der Abdruck bestand aus der Ziffer 1, dem Buchstaben J und einem senkrechten Strich, der vermutlich Teil eines H, K oder L war. Er rührte von einem Nummernschild her.
Aufgrund dessen stellte Bosch die Theorie auf, dass der Mörder des namenlosen Mädchens die Leiche im Kofferraum eines Autos versteckt hatte, bevor er sich ihrer entledigt hatte. Nachdem er die Leiche sorgfältig gesäubert hatte, hatte er sie in den Kofferraum seines Autos gepackt und dort versehentlich auf ein Nummernschild gelegt, das er von diesem Auto entfernt und ebenfalls in den Kofferraum gelegt hatte. Bosch stellte die Theorie auf, dass der Mörder das Nummernschild entfernt und möglicherweise durch ein gestohlenes ersetzt hatte, um seine Überführung zu erschweren, falls sein Wagen auf dem Aussichtspunkt am Mulholland Drive jemandem auffiele.
Obwohl der Hautabdruck keine Rückschlüsse zuließ, aus welchem Bundesstaat das Nummernschild stammte, ging Bosch bei seinen weiteren Nachforschungen von der höchsten Wahrscheinlichkeit aus. Er ließ sich von der Kfz-Zulassungsstelle eine Liste aller im Los Angeles County zugelassenen Kraftfahrzeuge zusammenstellen, deren Kennzeichen mit 1JH, 1JK oder 1JL begann. Die Liste umfasste über dreitausend Namen. Vierzig Prozent davon sortierten er und sein Partner aus, indem sie alle weiblichen Wagenhalter von ihr strichen. Die restlichen Namen wurden in den National Crime Index Computer eingegeben und schließlich hatten die Ermittler eine Liste mit sechsundvierzig Männern vorliegen, die schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren.
An diesem Punkt wandte sich Bosch schließlich an McCaleb. Er wollte ein Psychogramm des Mörders haben. Er wollte wissen, ob er und Sheehan sich mit ihrer Annahme, dass der Mörder vorbestraft war, auf der richtigen Fährte befanden, und er wollte wissen, wie er sich die sechsundvierzig Männer auf der Liste vornehmen und sie einordnen sollte.
McCaleb befasste sich fast eine Woche mit dem
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