Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
die Reproduktion zurück und entfernte sich kopfschüttelnd von ihr.
»Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll«, sagte er. »Aber irgendetwas ist da einfach. Irgendeine Art von Verbindung zwischen ihnen, die über die bloße Namensgleichheit hinausgeht.«
Er machte eine Handbewegung, als wischte er den Gedanken beiseite.
»Na schön, dann lassen Sie uns weitermachen«, schlug Winston vor. »Warum ausgerechnet jetzt, Terry? Wenn es Bosch war, warum ausgerechnet jetzt? Und warum Gunn? Es ist sechs Jahre her, dass er ihm durch die Lappen gegangen ist.«
»Interessant, dass Sie sagen, er ist ihm durch die Lappen gegangen und nicht der Justiz.«
»Damit habe ich nichts Bestimmtes zum Ausdruck bringen wollen. Sie neigen im Moment dazu, alles –«
»Warum ausgerechnet jetzt? Wer weiß? Andererseits kam es genau am Abend vor Gunns Ermordung zu dieser Begegnung zwischen den beiden, und eine weitere war im Oktober und einige noch früher. Jedes Mal, wenn der Kerl in der Ausnüchterungszelle landete, kreuzte Bosch auf.«
»Aber am letzten Abend war Gunn zu betrunken, um zu reden.«
»Sagt wer?«
Winston nickte. Alles, was sie hatten, war Boschs Schilderung der Begegnung in der Ausnüchterungszelle.
»Na gut, meinetwegen. Aber warum Gunn? Ich will mir damit kein Urteil über den menschlichen Wert eines Mörders oder seiner Opfer anmaßen, aber trotzdem, der Kerl hat in einem Stundenhotel in Hollywood eine Prostituierte erstochen. Wir wissen alle, dass einige mehr zählen als andere, und diese Frau kann nicht viel gezählt haben. Falls Sie die Akte gelesen haben, wissen Sie, dass nicht mal ihre eigene Familie noch etwas von ihr wissen wollte.«
»Dann ist uns etwas entgangen, etwas, was wir nicht wissen. Denn Harry war so etwas nicht egal. Ich glaube nicht, dass er jemand ist, der einen Fall oder eine Person wichtiger findet als eine andere. Aber mit Gunn muss es etwas auf sich gehabt haben, was wir noch nicht wissen. So muss es einfach sein – sonst hätte Harry vor sechs Jahren seinen Lieutenant nicht durchs Fenster geworfen und sich dafür eine Suspendierung eingehandelt. Und er hätte Gunn auch nicht jedes Mal aufgesucht, wenn er irgendwo aufgegriffen und eingesperrt wurde.«
McCaleb nickte sich selbst zu.
»Wir müssen den Auslöser finden. Den Katalysator. Die Sache, die plötzlich nach einem oder zwei Jahren oder wie viel auch immer zu dieser Tat geführt hat.«
Winston stand abrupt auf.
»Würden Sie endlich aufhören, ›wir‹ zu sagen? Und wissen Sie eigentlich, dass Sie schon die ganze Zeit dabei sind, einen wichtigen Punkt geflissentlich zu übersehen? Warum sollte Bosch, ein altgedienter Polizist und Detective, diesen Kerl umbringen und dann diese ganzen Fährten legen, die alle zu ihm führen? Das ist doch völlig hirnrissig. Um so etwas zu tun, ist Harry Bosch viel zu clever.«
»Nur, wenn man es von dieser Seite betrachtet. Jetzt, wo wir sie entdeckt haben, mögen diese Dinge vielleicht zu offensichtlich erscheinen. Im Übrigen lassen Sie dabei außer Acht, dass der Akt eines Mordes grundsätzlich schon von einem abnormen Geisteszustand, von einer in Auflösung begriffenen Persönlichkeitsstruktur zeugt. Wenn Harry Bosch vom Weg abgekommen ist und im Graben – im Abgrund – gelandet ist, dann dürfen wir hinsichtlich seines Geisteszustands oder seiner Beweggründe bei der Planung eines Mordes keinesfalls normale Maßstäbe anlegen. Der Umstand, dass er diese Hinweise hinterlassen hat, könnte symptomatisch sein.«
Sie wischte seine Erklärung beiseite.
»Das ist die typische Quantico-Argumentation. Zu viel Hokuspokus.«
Winston nahm die Reproduktion des Gartens der Lüste vom Tisch und betrachtete sie.
»Ich habe vor zwei Wochen mit Harry über diesen Fall gesprochen«, sagte sie. »Sie gestern. Er ging nicht gleich an die Decke und fing zu schäumen an. Und nehmen Sie nur den Prozess, an dem er gerade teilnimmt. Er ist die Ruhe in Person, total gefasst und hundertprozentig bei der Sache. Wissen Sie, wie ihn bei der Polizei einige nennen? Leute, die ihn näher kennen? Den Marlboro-Mann.«
»Na ja, meinetwegen, er hat mit dem Rauchen aufgehört. Da war der Storey-Prozess vielleicht das auslösende Moment. Eine Menge Stress. Irgendwie muss er den doch abbauen.«
McCaleb merkte, dass sie ihm nicht zuhörte. Etwas in dem Gemälde hatte ihren Blick auf sich gezogen. Sie legte die Reproduktion auf den Tisch zurück und griff nach dem Ausschnitt mit der Eule, die von einem nackten Mann
Weitere Kostenlose Bücher