Harry Bosch 15 - Neun Drachen
zurück.«
Er klappte das Handy zu und schaute wieder auf die Tische der drei Lokale, in der Hoffnung, die Nadel im Heuhaufen zu entdecken: jemanden, der eine SMS las, vielleicht eine Antwort tippte.
Nichts passierte. Er sah niemanden ein Handy herausholen und auf das Display schauen. Es waren zu viele Menschen, um alle gleichzeitig im Auge zu behalten, und die Unzulänglichkeit ihres Plans begann ein Loch in seine Brust zu bohren. Sein Blick wanderte zu dem Tisch, an dem die Frau mit dem Jungen gesessen hatte. Sie waren weg. Er schaute sich nach ihnen um und sah sie das Restaurant verlassen. Die Frau schien es eilig zu haben. An einer Hand zog sie den Jungen hinter sich her, in der anderen Hand hielt sie ihr Handy.
Bosch rief Sun an. Er ging sofort dran.
»Die Frau mit dem Jungen. Sie kommt in Ihre Richtung. Sie könnte es sein.«
»Hat sie die SMS bekommen?«
»Nein. Ich glaube, sie wurde hergeschickt, um den Kontakt herzustellen. Die SMS gingen an jemand anderen. Wir müssen der Frau folgen. Wo haben Sie das Auto stehen?«
»Vor dem Lokal.«
Bosch stand auf, legte drei Hundertdollarscheine auf den Tisch und ging zum Ausgang.
35
D er Mercedes stand vor dem Yellow Flower. Sun saß bereits am Steuer. Als Bosch die Tür öffnete, hörte er hinter sich jemanden rufen.
»Sir! Sir!«
Er drehte sich um. Es war die Bedienung, die ihm mit seiner Mütze und dem Stadtplan hinterherkam. Außerdem hatte sie das Wechselgeld dabei.
»Das haben Sie vergessen, Sir.«
Bosch nahm die Sachen an sich und bedankte sich. Das Wechselgeld drückte er ihr wieder in die Hand.
»Das ist für Sie.«
»Sie haben Ihren Reis nicht gegessen«, sagte sie.
»Ja.«
Bosch ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und hoffte, die kurze Verzögerung hätte nicht zur Folge, dass sie die Frau mit dem Jungen aus den Augen verlören. Sun fuhr sofort los und ordnete sich in den Verkehr ein. Er deutete durch die Windschutzscheibe nach vorn.
»Sie sind in dem weißen Mercedes.«
Das Auto, das er meinte, fuhr mehrere hundert Meter vor ihnen. Es herrschte wenig Verkehr.
»Fährt die Frau?«, fragte Bosch.
»Nein, sie ist mit dem Jungen in ein wartendes Auto gestiegen. Es fährt ein Mann.«
»Okay, bleiben Sie dran. Ich muss kurz telefonieren.«
»Alles klar.«
Während Sun dem weißen Mercedes folgte, rief Bosch Chu an. »Hier Bosch.«
»Also, ich habe inzwischen Informationen von der HKPF . Aber sie haben mir eine Menge Fragen gestellt, Harry.«
»Geben Sie mir erst die Informationen.«
Bosch zog Notizblock und Stift heraus.
»Also, die Telefonnummer, die Sie mir gegeben haben, ist auf eine Firma eingetragen. Northstar Seafood and Shipping. Northstar ein Wort. Ihr Sitz befindet sich in Tuen Mun. Das ist oben in den New …«
»Weiß ich. Haben Sie die genaue Adresse?«
Chu nannte ihm eine Adresse in der Hoi Wah Road, und Bosch wiederholte sie laut. Sun nickte. Er wusste, wo das war.
»Okay, sonst noch was?«
»Ja. Northstar ist der Polizei bereits bekannt, Harry.«
»Was soll das heißen? Wegen was sind sie bekannt?«
»Genaueres war nicht aus den Kollegen in Hongkong rauszukriegen. Irgendwelche illegalen Geschäfte.«
»Auch Menschenhandel?«
»Möglicherweise. Wie gesagt, Näheres wollten sie nicht herausrücken. Aber sie wollten unbedingt wissen, warum ich diese Nummer überprüfe.«
»Was haben Sie ihnen erzählt?«
»Dass es eine blinde Spur wäre. Die Nummer hätte auf einem Zettel gestanden, der bei Mordermittlungen aufgetaucht ist. Ich habe gesagt, über die näheren Zusammenhänge wüsste ich nichts.«
»Gut. Gibt es einen Namen, der zu dieser Nummer gehört?«
»Zu der Nummer direkt nicht, nein. Aber der Inhaber von Northstar Seafood and Shipping ist ein Dennis Ho. Fünfundvierzig Jahre alt. Mehr konnte ich allerdings nicht in Erfahrung bringen, ohne den Eindruck zu erwecken, dass ich etwas Bestimmtem auf der Spur bin. Hilft Ihnen das?«
»Ja, es hilft. Danke.«
Bosch beendete das Gespräch, dann erzählte er Sun, was er gerade erfahren hatte.
»Sagt Ihnen der Name Dennis Ho was?«
Sun schüttelte den Kopf.
»Nein.«
Bosch wusste, sie mussten eine wichtige Entscheidung treffen.
»Wir wissen nicht, ob die Frau dort vorne etwas mit der Sache zu tun hat.« Er deutete auf den weißen Mercedes. »Vielleicht vergeuden wir hier nur kostbare Zeit. Ich würde sagen, wir folgen ihr nicht weiter, sondern fahren direkt zu Northstar.«
»Wir müssen uns noch nicht entscheiden.«
»Warum nicht? Ich will keine Zeit
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