Harry Bosch 15 - Neun Drachen
im Moment alles. Angeblich ist er eine untere Charge. Diese Typen haben alle reguläre Jobs. Er arbeitet hier in Monterey Park bei einem Gebrauchtwagenhändler. Ist seit fünfundneunzig in den Staaten und hat die doppelte Staatsbürgerschaft. Keine Vorstrafen – jedenfalls nicht hier.«
»Und im Moment observieren Sie ihn gerade?«
»Ja, ich beobachte ihn beim Kartenspielen. Yung Kim ist hier in MP eine feste Größe. Und es gibt einen Club, in dem sie sich nach Feierabend regelmäßig treffen. Tao und Herrera sind mit mir hergefahren.«
Bosch nahm an, dass Herrera Taos Partner war.
»Und Sie sind jetzt auf der anderen Straßenseite?«
»Ja, der Club ist in einem kleinen Einkaufszentrum. Wir stehen auf der anderen Straßenseite. Wir können sie da drinnen Karten spielen sehen. Wir können Chang mit dem Fernglas sehen.«
»Okay, ich komme jetzt zu Ihnen. Aber Sie ziehen sich erst mal zurück, bis ich bei Ihnen bin. Entfernen Sie sich mindestens zwei-, dreihundert Meter von dem Club.«
Chu antwortete erst nach einer langen Pause.
»Wieso sollen wir uns zurückzuziehen, Harry? Er könnte uns entwischen, wenn wir ihn nicht im Auge behalten.«
»Hören Sie, Detective, ziehen Sie sich auf jeden Fall zurück. Wenn er uns entkommt, geht das auf meine Kappe, nicht auf Ihre. Er soll auf keinen Fall merken, dass sich die Polizei für ihn interessiert.«
»Wir sind auf der anderen Straßenseite«, protestierte Chu. »Mit vier Fahrspuren dazwischen.«
»Chu, hören Sie mir eigentlich zu? Wenn Sie ihn sehen können, kann er auch Sie sehen. Ziehen Sie sich verdammt noch mal zurück. Ich möchte, dass Sie sich mindestens ein paar hundert Meter von diesem Club entfernen. Ich bin in weniger als dreißig Minuten bei Ihnen.«
»Und wie stehe ich jetzt da?«, sagte Chu fast im Flüsterton.
»Das ist mir egal. Wenn Sie die Sache richtig angegangen wären, hätten Sie mich sofort angerufen, als Sie die Identifizierung für den Kerl hatten. Stattdessen reißen Sie sich einfach meinen Fall unter den Nagel. Aber damit ist jetzt Schluss, bevor Sie noch alles vermasseln.«
»Was wollen Sie eigentlich, Harry? Ich habe Sie doch angerufen.«
»Ja, klar, danke. Aber jetzt ziehen Sie sich zurück. Ich melde mich wieder, sobald ich in der Nähe bin. Wie heißt der Laden?«
Nach einer Pause antwortete Chu in schmollendem Ton.
»Club 88. Er ist in der Garvey Avenue, etwa vier Straßen westlich von der Garfield. Nehmen Sie den 10er raus nach …«
»Ich weiß, wie ich da hinkomme. Bin schon unterwegs.«
Um erst gar keine weiteren Diskussionen aufkommen zu lassen, klappte Bosch das Handy zu. Chu war vorgewarnt. Wenn er sich nicht zurückzog und die zwei Detectives aus Monterey Park an die Kandare nahm, würde ihm Bosch eine Dienstaufsichtsbeschwerde anhängen, die sich gewaschen hatte.
12
K eine zwei Minuten später war Bosch zur Tür hinaus. Er fuhr den Hügel hinunter, nahm den Freeway 101 durch Hollywood nach Downtown und wechselte auf den 10er in Richtung Osten. Von dort waren es dann bei schwachem Verkehr noch zehn Minuten bis Monterey Park.
Bosch rief aus dem Auto Ignacio Ferras an, berichtete ihm von den jüngsten Entwicklungen und schlug ihm vor, in Monterey Park zu ihm zu stoßen. Das lehnte Ferras ab mit der Begründung, es sei besser, wenn einer von ihnen am nächsten Morgen ausgeruht sei. Außerdem sei er gerade dabei, sich in die finanziellen Aspekte des Falls einzuarbeiten, um festzustellen, wie schlecht John Lis Geschäfte gelaufen seien und wie weit seine Abhängigkeit von der Triade gereicht habe.
Bosch hatte nichts einzuwenden und beendete das Gespräch. Er hatte damit gerechnet, dass sein Partner die Einladung ausschlagen würde. Ferras’ Scheu vor dem Außendienst wurde immer offensichtlicher, und Bosch verlor allmählich die Geduld mit ihm.
Ferras schien es nur noch darauf anzulegen, Aufgaben zu finden, die im Bereitschaftsraum erledigt werden konnten. Schreibkram, Internetsuchen und Finanzrecherchen waren seine Spezialgebiete geworden. Oft musste Bosch andere Ermittler anheuern, wenn es außerhalb des Gebäudes etwas zu erledigen gab, und sei es nur etwas so Harmloses wie eine Zeugenvernehmung. Bosch hatte wirklich versucht, Ferras nicht unter Druck zu setzen und ihm die nötige Zeit zu lassen, wieder auf die Beine zu kommen, aber inzwischen nahm diese Drückebergerei Züge an, die Bosch mehr und mehr an die Verbrechensopfer denken ließen, die nicht erhielten, was ihnen zustand. Es war schwer,
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