Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
oder?«
Bosch hatte sich bereits umgedreht, um in den Gerichtssaal zurückzukehren. Jetzt schaute er zu Johnson zurück.
»Woher wissen Sie das?«
»Nur so ein Gefühl. Wir haben hin und wieder auch Jazzkonzerte. New Orleans Jazz. Wenn Sie mal eine Karte für ein Konzert im El Rey wollen, sagen Sie mir einfach Bescheid.«
»Darauf werde ich gern zurückkommen. Danke.«
Damit ging Bosch durch die Tür in den Saal. Er musste grinsen bei dem Gedanken, dass Johnson seinen Musikgeschmack erraten hatte. Wenn er sich dabei nicht getäuscht hatte, würde er vielleicht auch damit recht behalten, dass die Geschworenen Jessup schuldig sprechen würden. Als Bosch den Mittelgang hinunterging, forderte die Richterin Haller auf, seinen nächsten Zeugen aufzurufen.
»Der Staat ruft Regina Landy in den Zeugenstand.«
Bosch wusste, jetzt war er an der Reihe. Was jetzt kam, war von der Richterin bereits vor einer Woche gegen den Einspruch der Verteidigung angeordnet worden. Regina Landy war nicht in der Lage, vor Gericht zu erscheinen, weil sie tot war. Aber sie war im ersten Prozess als Zeugin aufgetreten, und deshalb hatte die Richterin verfügt, dass ihre Aussage den gegenwärtigen Geschworenen vorgelesen werden dürfte.
Breitman wandte sich den Geschworenen zu, um ihnen den Sachverhalt zu erklären, gab sich dabei aber größte Mühe, mit keinem Wort anzudeuten, dass es bereits einen früheren Prozess gegeben hatte.
»Meine Damen und Herren, der Staat hat eine Zeugin aufgerufen, die uns nicht mehr für eine Aussage zur Verfügung steht. Sie hat jedoch zu einem früheren Zeitpunkt eine beeidete Aussage zu Protokoll gegeben, die wir Ihnen jetzt vorlesen möchten. Sie sollen sich keine Gedanken darüber machen, warum diese Zeugin nicht vor Gericht aussagen kann oder woher diese beeidete Aussage stammt. Sie sollen sich einzig und allein mit der Aussage selbst befassen. In diesem Zusammenhang sollte ich vielleicht hinzufügen, dass ich sie entgegen dem Einspruch der Verteidigung zugelassen habe. In der amerikanischen Verfassung ist festgelegt, dass der Angeklagte das Recht hat, seine Ankläger zu befragen. Wie Sie gleich sehen werden, wurde diese Zeugin tatsächlich von einem Anwalt vernommen, der früher einmal Mr. Jessup vertreten hat.«
Sie wandte sich wieder den Anwälten zu.
»Fahren Sie bitte fort, Mr. Haller.«
Haller rief Bosch in den Zeugenstand. Dieser wurde vereidigt, nahm Platz und brachte das Mikrophon in die richtige Position. Dann öffnete er den blauen Ordner, den er bei sich hatte, und Haller begann.
»Detective Bosch, können Sie uns ein wenig über Ihre Erfahrungen als Polizist erzählen?«
Bosch drehte sich zur Geschworenenbank, und ließ bei seiner Antwort den Blick von einem Geschworenen zum nächsten wandern. Er ließ auch die Ersatzleute nicht aus.
»Ich bin sechsunddreißig Jahre im Polizeidienst. Mehr als fünfundzwanzig davon hatte ich mit Mordfällen zu tun. In dieser Zeit habe ich in mehr als zweihundert Mordfällen die Ermittlungen geleitet.«
»Und Sie leiten auch in diesem Fall die Ermittlungen?«
»Mittlerweile, ja. An den ursprünglichen Ermittlungen war ich allerdings nicht beteiligt. Ich befasse mich erst seit Februar dieses Jahres mit diesem Fall.«
»Danke, Detective. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal auf Ihre Ermittlungen zurückkommen. Wären Sie jetzt bereit, die beeidigte Zeugenaussage vorzulesen, die Regina Landy am 7. Oktober 1986 gemacht hat?«
»Das bin ich.«
»Gut, dann lese ich jetzt die Fragen, die damals von Deputy District Attorney Gary Lintz und Strafverteidiger Charles Barnard gestellt wurden, und Sie werden die Antworten der Zeugin lesen. Wir beginnen mit der direkten Einvernahme durch Mr. Lintz.«
Haller machte eine kurze Pause und studierte das Protokoll, das er vor sich liegen hatte. Bosch fragte sich, ob es verwirrend sein könnte, dass er die Antworten einer Frau las. Als die Richterin eine Woche zuvor die Zeugenaussage zugelassen hatte, hatte sie gleichzeitig jegliche Hinweise auf die Emotionen untersagt, die Regina Landy gezeigt hatte. Aus dem Protokoll wusste Bosch, dass sie während der ganzen Dauer ihrer Befragung geweint hatte. Dies beim aktuellen Prozess zu verwerten, hatte ihm die Richterin jedoch nicht gestattet.
»Also dann.« Haller begann aus dem Protokoll vorzulesen. »›Mrs. Landy, können Sie bitte Ihre Beziehung zum Opfer, Melissa Landy, beschreiben.‹«
»›Ich bin ihre Mutter‹«, las Bosch. »›Sie war meine
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